Die Praktikantin
Unterzeichner war kein Unbekannter. Es war der Bundestagsabgeordnete, den Batz gestern interviewt hatte.
Nachdem ich die Leserbriefe und die Berichte der anderen Zeitungen, die nicht ein einziges Mal über unsere Erkenntnisse hinausgingen, gesichtet hatte, bat ich Grainer, die Konferenz zu leiten. Sie dauerte immer länger, weil wir inzwischen so viele Praktikanten gleichzeitig in der Redaktion hatten. Die
Wützener Zeitung
war zu einer ganz guten Adresse für junge Leute geworden, die Journalisten werden wollten. Weil sie hier nicht nur zugucken und Kaffee kochen, sondern richtig viel machen konnten. Es gab Tage, an denen stammten mehr als die Hälfte aller Texte im Blatt von Praktikanten. Freie Mitarbeiter beschäftigten wir immer weniger, außer Elisabeth natürlich. Die Generation |207| Praktikum hatte etliche andere, die mit Schreiben Geld verdienen wollten, verdrängt. Ich hatte im vergangenen Monat nur dreißig Prozent des geplanten Honorars ausgegeben. Das Prinzip funktionierte. Nur, wie lange noch?
Grainer hatte meine Frage offensichtlich nicht gehört. Ich wiederholte sie.
»Herbert, kannst du die Konferenz leiten?«
»Natürlich, Johann. Ist denn was Besonderes, dass du nicht dabei sein kannst?«
Ja, einer meiner Redakteure hat einer Praktikantin auf einem dieser Tische ein Baby gemacht, dachte ich. Politisch korrekt hörte sich das so an: »Nein, Herbert, ich habe nur einen wichtigen Termin.«
Ich musste zum Birkenweg.
Hanna Giese war nicht da. Oder zumindest öffnete sie mir nicht. Ich klingelte zwanzig Mal, bis mir jemand von hinten auf die Schulter klopfte.
»Das bringt nichts.« Elisabeth. Sie sah genauso müde aus wie ich, hatte die Haare zu einem Zopf gebunden und trug eine Brille, die sie älter und ernster machte. »Sie ist seit Stunden nicht hier gewesen.«
»Seit wann tragen …«, sagte ich und brach dann ab, weil es Wichtigeres gab als die Frage, seit wann meine Praktikantin eine Brille trug. Wahrscheinlich hatte sie normalerweise Kontaktlinsen. »Ich meine: Wo ist sie hin?«
»Sie ist zur Polizei gegangen«, sagte Elisabeth. »Und wird auf der Wache in der Mohrenstraße vernommen, dann zusammen mit ihrem Sohn an einen geheimen Ort gebracht. Das dürfen wir schreiben, mehr nicht. Ich war eben dort.«
»Konnten Sie noch einmal mit ihr sprechen?«
»Nein, sie haben mich nicht mehr an sie rangelassen. Haben Sie etwas rausgekriegt?«
»Nur, dass es über die Praktikanten vor meiner Zeit in unserem Haus überhaupt keine Aufzeichnungen gibt. Und dass ich |208| dringend einen eigenen Schlüssel für den Schrank mit den Personalakten brauche.«
»Haben Sie den etwa auch nicht?«, fragte Elisabeth.
»Wieso auch nicht?«
»Sie haben doch nicht einmal ein eigenes Büro.«
Mist, sie hatte es gemerkt.
Das Wiedersehen von Mama und Sohn, die Vernehmung bei der Polizei und die gemeinsame Verlegung an einen unbekannten Ort brachten uns die nächste Schlagzeile: »Mutter des ausgesetzten Babys stellt sich der Polizei.« Der Umlauf vom Titel reichte gerade, um eine Spalte auf Seite zwei zu füllen. Den Rest nahm die Debatte um die Babyklappe ein, für die Batz mit zwei Praktikantinnen Stimmen von fast allen Politikern im Stadtrat zusammengetragen hatte. Es war mir schon länger aufgefallen, dass ihm die Arbeit mit den jungen Frauen Spaß machte. »Die süßen Dinger können viel von mir lernen«, hatte er mir einmal zugeflüstert, als ich ihn bat, eine Neunzehnjährige mit auf einen Termin zu nehmen. Er hatte selbst eine Tochter, die kaum jünger war.
Lenz hatte mich vor drei Tagen gefragt, ob das Patenkind der Bekannten seiner Nachbarin mal ein Praktikum bei uns machen könnte, und Peperdieck hatte freiwillig das Projekt »Studenten machen Zeitung« übernommen. In der Gruppe, die eine eigene Sportbeilage konzipieren sollte, waren bis auf einen Kommunikationswissenschaftler nur Frauen.
Ich wurde paranoid. Ein Chefredakteur, umzingelt von Redakteuren, die Praktikantinnen verführen. Ich musste Elisabeth fragen, ob sich einer der Kerle auch an sie herangemacht hatte. Oder lieber nicht. Sonst würde sie am Ende noch sagen: »Au ßer Ihnen niemand, Herr Walder.« Aber ich war nicht verdächtig. Ich war im vergangenen Jahr noch gar nicht hier gewesen. Der alte Michelsen konnte das bezeugen.
»Lieber Herr Walder, da enthüllen Sie mit Ihrem kleinen Lokalanzeiger ja jeden Tag neue Details dieser Geschichte, die |209| inzwischen ganz Deutschland bewegt«, schrieb Frau Volkmann in seinem Auftrag in
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