Die Priesterin von Avalon
abstrakten Begriff der Philosophie, auf den ihr Augenmerk fiel. Alle Straßenkreuzungen und öffentlichen Brunnen hatten ihre kleinen Schreine, auf denen der Name des Spenders an auffallender Stelle prangte, als wüssten die Götter ohne ein solches Schild nicht, wer es gewesen war. Selbst Konstantius bestand darauf, den Laren und Penaten seiner Ahnen, die das Lager des Hauses bewachten, zu opfern. Dabei hatte er doch die Philosophie der Griechen studiert, die der Theologie von Avalon so nahe stand.
»Dein Mann hat ein gutes Gespür für das Geschäft, aber er war nie dazu bestimmt, ein Leben als Händler zu führen«, fuhr Viducius fort. »Eines Tages wird ihn der Kaiser wieder in seine Dienste rufen. Vielleicht überquerst auch du dann einmal das Meer und machst Nehalennia deine Aufwartung.«
Ich versuchte, etwas Höfliches zu sagen, doch der Duft des gebratenen Fleisches war zu viel für meinen rebellierenden Magen. Ich entschuldigte mich, schoss ins Atrium hinaus und übergab mich in den Blumentopf, in dem der Rosenbaum stand.
Als es überstanden war, entnahm ich den lauter werdenden Stimmen, dass unsere Gäste sich verabschiedeten. Ich setzte mich auf eine Steinbank und atmete tief die kühle, nach Kräutern duftende Luft ein. Der Mai näherte sich seinem Ende, und der Abend war mild. Es war noch so hell, dass ich entzückt die anmutigen Konturen der zweigeschossigen Flügel des Hauses betrachten konnte, die das langgestreckte Atrium einrahmten. Auf der Innenseite öffnete sich ein Säulenumgang. Das Haus war von demselben Architekten erbaut worden, der den Palast des Kaisers Severus ganz in unserer Nähe entworfen hatte. Obwohl es wie die meisten Häuser in diesem Stadtteil eine schmale Front hatte und sich nach hinten erstreckte, war es von klassischer Eleganz.
Jetzt, da mein Magen leer war, ging es mir viel besser. Unseren Gästen zuliebe hoffte ich, dass es nicht am Essen gelegen hatte. Ich spülte mir den Mund am Springbrunnen aus, lehnte mich an eine Säule, und schaute zum offenen Himmel über dem Atrium auf, an dem der Neumond bereits hoch stand.
Beim Betrachten des Mondes fiel mir ein, dass meine Monatsblutung schon hätte einsetzen sollen. Auch meine Brüste waren ungewöhnlich fest. Ich berührte sie und wurde mir sogleich ihres neuen Gewichts und ihrer Empfindsamkeit bewusst. Ich lächelte, denn endlich dämmerte mir, was mit mir nicht in Ordnung war.
Ein Schatten bewegte sich zwischen den Topfpflanzen. Ich erkannte Konstantius, erhob mich und ging ihm entgegen.
»Helena, geht es dir gut?«
»O ja…« Mein Lächeln wurde noch strahlender. »Waren deine Verhandlungen erfolgreich, Liebster?« Ich legte ihm die Arme um den Hals, und er murmelte etwas in mein Haar, während auch er mich in die Arme schloss. Einen Augenblick lang standen wir still beisammen. Er roch nach gutem Essen und Wein und dem würzigen Öl, mit dem sein Sklave ihn in den Bädern massierte.
»Du kannst mir auch gratulieren…«, flüsterte ich ihm ins Ohr. »Ich bringe noch größeren Gewinn als alle Händler zusammen. Oh, Konstantius, ich bekomme ein Kind von dir!«
Während der Frühling in den Sommer überging und mein Körper mit fortschreitender Schwangerschaft aufblühte, empfand ich zum ersten Mal in meinem Leben wahres Glück. Mir war bewusst, dass dieses Geschenk nicht jedem Sterblichen bestimmt ist. Ich hatte, wenn auch nicht die Götter, so doch die Priesterinnen von Avalon getäuscht und trug jetzt das vom Orakel vorhergesagte Kind unter dem Herzen! Erst viele Jahre später sollte ich diese Prophezeiung in Frage stellen und begreifen, dass man nur auf die richtige Frage die richtige Antwort bekommt.
Es war eine schöne Jahreszeit, und nach Eburacum, der Königin des Nordens, lieferten Händler aus dem gesamten Imperium ihre Waren. Kaufleute kamen zu Wohlstand und teilten ihr Glück mit den Göttern, von Herkules bis Serapicus. Der Platz vor dem Gerichtshof war übersät mit Altären, mit denen Gelübde eingelöst worden waren. Ich blieb zuweilen stehen, um den matronae meine Ehrerbietung zu erweisen, den dreifachen Müttern, die über die Fruchtbarkeit wachten, aber sonst hatte ich den Göttern nur wenig zu sagen.
Tag für Tag folgte Eldri mir dicht auf den Fersen, wenn ich aus dem Brückentor trat und über den Pfad am Abus-Fluss bis zu den Kais an der Mündung in die Fossa spazierte, wo sich die Boote, die von der Küste kamen, das Wegerecht mit den Schwänen streitig machten. Am Abend spiegelten sich die
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