Die Priesterin von Avalon
weißen Wände des Kastells im Wasser, und die untergehende Sonne überzog die schimmernde Oberfläche mit milchigem, perlmuttfarbenem Schein. Im Laufe des vergangenen Jahres war mein kleiner Hund langsamer geworden, als wäre er plötzlich gealtert, doch diese Ausflüge, auf denen er in den zahlreichen faszinierenden Abfällen am Ufer herumschnüffeln konnte, waren der Höhepunkt seines Tages. Ich hoffte, das tröstete ihn ein wenig über den Verlust der Freiheit von Avalon hinweg.
Doch diese Schiffe brachten mehr als nur Waren ins Land, denn obwohl westlicher und östlicher Teil des Imperiums politisch voneinander getrennt waren, drangen die Neuigkeiten ungehindert von einem in den anderen. Kurz nach der Sommersonnenwende erreichten uns zwei Dinge, die unser Leben verändern sollten: ein Bote mit einem Brief vom Kaiser und der erste Pestfall.
Wir saßen im Atrium. Ich hatte Drusilla gebeten, uns das Abendessen dort zu servieren. Das Essen schmeckte mir gerade wieder, und unserer Köchin machte es Spaß, herauszufinden, womit sie meinen Appetit anregen könnte. Ich war mir nicht sicher, ob es meine Schüchternheit oder die hochmütige Verachtung eines alten Familienfaktotums gegenüber einer einheimischen Konkubine war, die anfangs eine Distanz zwischen uns gelegt hatte. Doch mit beginnender Schwangerschaft hatte sich mein Stand in ihren Augen erheblich verbessert.
Ich hatte verschiedene Vorspeisen probiert, als mir auffiel, dass Konstantius nichts aß. Nachdem ich ein Jahr bei ihm war, sah ich den Mann in ihm ebenso wie den Helden. Ich wusste zum Beispiel, dass er morgens am besten aufgelegt war und nach Sonnenuntergang immer reizbarer wurde; dass er bis zur Taktlosigkeit ehrlich sein konnte und dass er mehr im Kopf als im Körper lebte, außer wenn er bei mir im Bett lag. Was manche Menschen als Reserviertheit wahrnahmen, hätte ich als Konzentration ausgelegt. Schellfisch konnte er nicht ausstehen, und sobald sein Interesse an einem Vorhaben geweckt war, hätte er das Essen gänzlich vergessen können.
»Du hast nichts angerührt«, sagte ich. »Es schmeckt sehr gut, und Drusilla wird sich aufregen, wenn du ihre Kochkunst nicht zu schätzen weißt.«
Er lächelte und spießte ein Stück Lauch mit Wurst auf, lehnte sich aber zurück und hielt es in der Hand, ohne zu essen. »Heute Morgen habe ich einen Brief erhalten.«
Plötzlich wurde mir kalt. »Aus Rom?«, fragte ich und bemühte mich, meiner Stimme einen ruhigen Klang zu verleihen.
»Nicht direkt. Als er ihn schrieb, war er in Nicomedia, obwohl er inzwischen zweifellos schon woanders ist.«
Ich schaute ihn an und dachte nach. Keine Frage, wer er sein könnte. Doch wenn der Kaiser Konstantius' Kopf wollte, hätte er gewiss mit der Botschaft einen Offizier geschickt, der ihn festgenommen hätte.
»Demnach verstehe ich es richtig, dass es kein Befehl war, dich festzusetzen?«
Er schüttelte den Kopf. »Helena, er hat mir eine Stelle in seinem Stab angeboten! Jetzt kann ich dir und unserem Kind ein ordentliches Leben ermöglichen!«
Ich starrte ihn sprachlos an und unterdrückte meine erste erschrockene Vermutung, er wolle mich verlassen. Konstantius hatte sich stets bemüht, glücklich zu wirken, aber ich wusste, wie sehr ihm seine militärische Laufbahn gefehlt hatte.
»Kannst du ihm trauen?«
»Ich denke schon«, sagte er mit ernster Miene. »Aurelian hat immer den Ruf gehabt, ehrlich zu sein - ein wenig zu offen sogar. Gerade weil er seine Wut nicht verbergen konnte, erschien es mir das Beste, ins Exil zu gehen. Er ist mich bereits los - mich zurückzulocken, nur um mich ermorden zu lassen, erforderte unnötige Raffinesse.«
Zu offen? Ich unterdrückte ein Lächeln, denn ich verstand, warum Konstantius ins Exil geschickt worden war und warum der Kaiser ihn wieder zurückhaben wollte.
Konstantius ging sichtbar in sich, berechnete, plante, und ich erkannte mit Schrecken, dass seine Aufmerksamkeit unausweichlich von mir abgezogen würde, wenn er das Schicksal erfüllen sollte, das ich für ihn vorausgesehen hatte. In jenem Augenblick wünschte ich mir nichts sehnlicher, als dass wir normale, einfache Menschen wären, die ein gewöhnliches, zufriedenes Leben miteinander führten, hier am Rande des Imperiums. Doch selbst im schwindenden Licht hatte er etwas Strahlendes an sich, das den Blick auf sich zog. Als normaler Erdenbürger wäre Konstantius nie nach Avalon gelangt.
»Da Tetricus im Westen noch immer an der Macht ist, wäre ich nicht
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