Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Priesterin von Avalon

Die Priesterin von Avalon

Titel: Die Priesterin von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley , Diana L. Paxson
Vom Netzwerk:
ließ den Kopf hängen, als wäre die volltönende Beschwörung ein Schlafzauber.
    Ein zweiter Priester trat vor und hob das Schlächterbeil. An seinen Armen traten harte Muskeln hervor. Sekundenlang hing das Beil unbeweglich in der Luft und schwirrte dann mit voller Wucht nach unten. Der dumpfe Aufprall auf dem Schädel des Tieres hallte von den Säulen wider. Doch das Tier sank bereits in die Knie. Dabei hielt der eine Priester es an den Hörnern fest, damit der zweite dem Tier das Messer in die Kehle stechen und diese kreuzweise aufreißen konnte.
    Einer roten Flutwelle gleich ergoss sich Blut über die Steine. Einige Männer wandten den Blick ab und bekreuzigten sich mit dem christlichen Zeichen gegen das Böse. Böse ist es nur für den Stier , dachte ich wehmütig, oder vielleicht nicht einmal für ihn, wenn er damit einverstanden war, Opfer zu sein . Sicher wussten die Christen, die einen geopferten Gott verehrten, dass der Tod heilig sein konnte. Es erschien mir ziemlich kleinmütig von ihnen, diese heiligen Ideale allen anderen Religionen außer ihrer eigenen streitig zu machen.
    So heilig es auch sein mochte - als der süßliche Geruch des Blutes den Weihrauchduft zu überlagern begann, spürte ich, wie mir übel wurde. Ich zog mir den Schleier vor das Gesicht, saß ganz ruhig da und atmete langsam und vorsichtig ein und aus. Es wäre undiplomatisch und unheilvoll zugleich, wenn ich mich bei der Feier blamierte. Ein durchdringender Kräuterduft klärte mir die Sinne. Ich schlug die Augen auf. Vitellia hielt mir einen kleinen Strauß Lavendel und Rosmarin unter die Nase. Ich atmete noch einmal tief durch und bedankte mich bei ihr.
    »Ist es dein erstes Kind?«
    »Das erste, das ich so lange bei mir behalte«, antwortete ich.
    »Möge die Heilige Mutter Gottes dich segnen und dich das Kind sicher austragen lassen«, sagte Vitellia. Stirnrunzelnd schaute sie zurück auf das Forum.
    Es war wahrhaft keine erbauliche Szene, doch ich verstand ihr Missfallen nicht ganz. Ich versuchte mich zu erinnern, ob ihr Mann zu denen gehört hatte, die sich bekreuzigten, als der Stier getötet wurde.
    Inzwischen war das Tier fast ausgeblutet, und die niedrigeren Priesterränge spülten das Blut in die Rinnsteine. Die anderen hatten den Kadaver geöffnet und die Leber in eine Silberschale gelegt, damit der Eingeweidedeuter sie untersuchen konnte. Selbst der Kaiser beugte sich vor, um seinen gemurmelten Worten zu lauschen.
    Mir, die ich in der Tradition der mündlichen Überlieferung von Avalon ausgebildet war, erschien die Weissagung durch Eingeweide stets eine ungeschickte Methode des Wahrsagens. Für einen geschulten Geist konnte der Flug eines Vogels oder der Fall eines Blattes ein Omen sein, das Einsicht in eine Prophezeiung auslöste. Wenigstens hatte man den Stier sauber und mit Ehrerbietung getötet. Wenn wir an jenem Abend beim Festmahl sein Fleisch verspeisten, würden wir unseren Platz im Kreislauf von Leben und Tod annehmen und zugleich an seinem Segen teilhaben. Ich legte mir die Hand auf den Bauch, der gerade härter zu werden begann, während das Kind in mir wuchs.
    Der Zeichendeuter wischte sich die Hände an einem Leinentuch ab und drehte sich zum Podium um.
    »Alle Ehre dem Kaiser, dem Günstling der Götter…«, rief er. »Die Erleuchteten haben gesprochen. Der kommende Winter wird mild werden. Wenn du ins Feld ziehst, wirst du deine Feinde besiegen.«
    Als ich das kommentierende Raunen der Menge vernahm, wurde mir erst bewusst, wie angespannt sie gewesen war. Ein paar starke Männer schleppten den Bullen fort, damit er für das Festmahl zubereitet wurde. Die jungen Frauen traten vor, hoben die Arme gen Himmel und begannen zu singen.

    » Heil dir, strahlende, königliche Sonne,
    lass uns bewundern den Glanz, o heilige Wonne!
    Hilf uns und heil uns, bis einstmals wir
    erhalten die Schönheit und Liebe von dir… «

    Tränen stiegen mir in die Augen, als sich die reinen, hellen Stimmen vermischten, und ich dachte daran, wie ich mit den anderen jungen Frauen auf Avalon gesungen hatte. Es war lange her, seitdem ich die Göttin beschworen hatte, doch der Gesang weckte in mir ein Sehnen, das ich beinahe vergessen hatte. Das Lied war an Apollon gerichtet, oder wie der Sonnengott in den Ländern am Danuvius auch hieß. Es war üblich, dass jeder Kaiser die Gottheit verherrlichte, die sein Schutzpatron war, doch angeblich wollte Aurelian noch weiter gehen und die Sonne als sichtbares Symbol eines einzigen,

Weitere Kostenlose Bücher