Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Priesterin von Avalon

Die Priesterin von Avalon

Titel: Die Priesterin von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley , Diana L. Paxson
Vom Netzwerk:
Philosophie gibt uns ein anderes Werkzeug an die Hand, um die Welt zu begreifen.«
    »Aber die Welt bleibt, wie sie ist«, entgegnete Konstantin, »und die Götter auch!«
    »Wirklich?« Atticus klang belustigt. Er war von seinem Onkel als Sklave verkauft worden, und vermutlich war es für ihn am angenehmsten, an keinen Gott zu glauben. »Wie können wir dann alle Geschichten über sie miteinander versöhnen, oder den Anspruch all der verschiedenen Kulte, die ihren Gott als den höchsten sehen wollen?«
    »Wir finden heraus, welcher der Stärkste ist, und lehren alle, wie sie ihm zu dienen haben«, sagte Konstantin forsch.
    Ich schüttelte den Kopf. Wie einfach doch alles für ein Kind war. Als ich in seinem Alter war, hatte es ausschließlich die Wahrheit von Avalon gegeben.
    »Komm schon«, erwiderte Atticus, »selbst die Juden, deren Gott nicht zulässt, dass sie einen anderen anbeten, tun nicht so, als gäbe es keine anderen Götter.«
    »Mein Vater wird vom höchsten aller Götter geliebt, dessen Gesicht die Sonne ist, und wenn ich mich dessen würdig erweise, wird ER diesen Segen auch mir zuteil werden lassen.«
    Erstaunt hob ich eine Augenbraue. Ich wusste, dass der Sonnenkult in Dalmatien Konstantin beeindruckt hatte. Ihm gehörten die meisten Offiziere an, mit denen Konstantius gedient hatte. Doch ich hatte nicht gemerkt, wie weit sein Versuch, dem Vater nachzueifern, bereits gediehen war. Ich musste eine Möglichkeit finden, ihm auch etwas über die Göttin beizubringen.
    Konstantin fuhr fort: »Auf der Erde gibt es einen Kaiser, und am Himmel eine Sonne. Mir scheint, das Imperium könnte viel friedlicher sein, wenn alle dem gleichen Glauben angehörten.«
    »Nun, ich will dir deine Meinung nicht streitig machen, aber bedenke, der Wahrsager Alexandros hat seine Orakel im Namen Apollons verkündet. Nur weil einer im Namen eines Gottes spricht, bedeutet das nicht, dass er die Wahrheit sagt.«
    »Dann sollte man ihm von Amts wegen Einhalt gebieten«, entgegnete Konstantin hartnäckig.
    »Mein lieber Junge«, sagte Atticus. »Der Statthalter Rutilianus war einer der eifrigsten Anhänger Alexandros'. Er heiratete die Tochter des Propheten nur, weil Alexandros behauptet hatte, ihre Mutter sei die Göttin Selene gewesen!«
    »Ich meine immer noch, dass man die Menschen vor falschen Orakeln schützen sollte.«
    »Vielleicht, aber wie soll man das bewerkstelligen, ohne ihnen das Recht zu nehmen, sich frei dafür zu entscheiden, woran sie glauben? Lass uns mit der Übersetzung fortfahren, Konstantin, vielleicht wird die Sache dann deutlicher…«
    Zum ersten Mal fragte ich mich, ob es klug war, Konstantin Philosophie lernen zu lassen. Er neigte dazu, die Dinge zu wörtlich zu nehmen. Aber ich sagte mir, die Beweglichkeit des Verstandes, die für die griechische Kultur typisch war, wäre gut für ihn, und ich war erleichtert, dass Atticus und nicht mir die Aufgabe zufiel, ihm den Standpunkt näher zu bringen. Dennoch würde die Zeit kommen, da ich mit meinem Sohn über Avalon reden musste, überlegte ich, während ich die Tür öffnete, um die linde Frühlingsluft hereinzulassen.
    Ich hatte ihn mit den lehrreichen Liedern in den Schlaf gesungen, die ich als kleines Mädchen gelernt hatte, und ihn mit Geschichten über Wunder zum Lachen gebracht. Er wusste, dass die Schwäne zu Beginn des Frühjahrs an den See zurückkehrten und dass die wilden Gänse am herbstlichen Himmel schrien. Aber von der tieferen Bedeutung der Geschichten und dem großen Muster, zu dem Schwäne und Gänse gehörten, hatte ich nichts erwähnt. Das wurde den in die Mysterien Eingeweihten beigebracht. Wäre Konstantin auf Avalon geboren, wie Ganeda es geplant hatte, hätte er diese Dinge in seiner Ausbildung gelernt. Ich aber hatte es anders gewollt, und daher war ich dafür verantwortlich, ihn zu lehren.
    Konstantin war ein Kind, dachte ich, als ich den beiden Stimmen lauschte. Es war normal, dass er sein Augenmerk auf die Oberfläche der Dinge richtete. Doch gerade das äußere Erscheinungsbild der Welt war höchst unterschiedlich und widersprüchlich. Oberflächlich betrachtet hatten alle Kulte und Philosophien etwas Wahres an sich. Die einzige Wahrheit hinter ihnen war erst auf einer tieferen Ebene zu finden.
    »Alle Götter sind ein Gott, und alle Göttinnen sind eine Göttin, und es gibt einen, der der Urgrund ist.« Diese Losung hatte ich auf Avalon unzählige Male gehört. Irgendwie musste ich Konstantin die Bedeutung begreiflich

Weitere Kostenlose Bücher