Die Priesterin von Avalon
sich ein Wunder ereignet, seitdem ich zuletzt hineingeschaut habe!«
Sie errötete leicht und brachte mir die runde polierte Silberscheibe, deren Griff in der Gestalt der drei ineinander verschlungenen Grazien geformt war. Ich drehte mein Gesicht ins Licht und hielt den Spiegel hoch. Das Antlitz, das mir daraus entgegensah, war von silbernem Haar umrahmt, in zwei glatten Strängen zu einem Knoten zusammengebunden, der von einem gewebten Band gehalten wurde. Die Haut, die sich einst so geschmeidig über meine kräftigen Knochen gespannt hatte, war schlaff geworden, die Augen lagen in tiefen, dunklen Höhlen unter den Augenbrauen.
»Was ich sehe, meine Liebe, ist das Gesicht einer gesunden Zweiundsiebzigjährigen. Wenn es nicht ganz dem einer alten Hexe entspricht, dann liegt es daran, dass ich darauf achte, was ich esse, und in Bewegung bleibe. Aber die Tatsache, dass ich in einem Palast lebe, ist noch lange keine Entschuldigung für mich, die Realitäten des Lebens zu übersehen«, sagte ich knapp. »Und jetzt nimm das Ding weg. Bald bricht die Stunde an, in der ich meine Audienz abhalte. Wie viele Menschen warten im Empfangsraum?«
»Nicht so viele wie sonst, aber einer von ihnen ist Sylvester, der Erzbischof des Erzbistums Rom.«
»Na gut, dann wird es wohl Zeit, dass ich meine Spinnerei beiseite lege und wieder zur Nobilissima Femina werde, auch wenn ich nur eine alte bin. Ich werde die Tunika aus waldgrüner Seide anlegen und darüber den meergrünen Mantel.«
»Ja, Herrin, dazu die Ohrringe und die Kette aus Emaille und Perlen?«
Ich nickte, griff nach meinem Stock und erhob mich stöhnend, als läge die Last aus Brokat und Juwelen bereits auf mir.
Seit meinem Einzug in den Sessorianum-Palast hatte ich es mir angewöhnt, kurz vor dem Mittagsmahl Bittsteller zu empfangen. Ich war immer wieder erstaunt, wie viele Menschen quer durch die Stadt zu meinem Haus kamen. Es duckte sich in den südöstlichen Winkel der Mauern, die Kaiser Aurelian hatte errichten lassen, um die Vorstädte Roms zu schützen.
Heute war die Halle trotz des schlechten Wetters voll. Durch den aromatischen Duft der Kräuter, die auf dem Kohlebecken lagen, drang mir der Geruch von nasser Wolle in die Nase, und ich lächelte, denn es erinnerte mich wieder an Britannien. Begleitet von Cunoarda und meinen beiden Windhunden, die neben mir hertrotteten, stieg ich auf das Podest, nahm auf dem geschnitzten Stuhl Platz und warf einen Blick über die Menge.
Ich sah Julius Maximilianus, der den Wiederaufbau der Bäder auf dem Gelände des Palasts beaufsichtigte. Ich hatte die Absicht, sie der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, wenn sie erst einmal fertig gestellt waren, da eine Einrichtung in dieser Größe kaum erforderlich war, eine einzelne alte Frau sauber zu halten.
Maximilianus war zweifellos hier, um über den Fortschritt der Bäder zu berichten, der sich aufgrund des winterlichen Regens und Krankheit unter den Arbeitern verzögert hatte. Einige andere waren meine Klienten und nur aus Höflichkeit gekommen. Doch was machte der christliche Patriarch der Stadt hier?
Sylvester wartete mit erstaunlicher Geduld, ein drahtiger kleiner Mann mit einem Kranz schütteren rötlichen Haars um seine Tonsur, gekleidet in schlichter weißer Tunika und Mantel. Das einzige Rangabzeichen, das er an sich trug, war das große, aus Gold gefertigte Kreuz auf seiner Brust. Der junge Priester indes, der ihn begleitet hatte, nestelte nervös an seinen Sachen und murrte über die Verzögerung.
Falls andere unzufrieden mit der Geschwindigkeit waren, mit der ich ihre Bitten abfertigte, so wagten sie es nicht zu äußern, und als eine Stunde vergangen war, blieb nur noch Sylvester übrig.
»Ehrwürdiger Bischof, ich bin sicher, dass nur eine dringende Angelegenheit dich an einem solchen Tag zu mir führt. Doch ich bin eine alte Frau und nicht gewohnt zu fasten. Wenn du also die Muße hättest, mir dein Anliegen vorzutragen, während du mir beim Essen Gesellschaft leistest?«
Seine Augen blitzten belustigt auf, doch seine Zustimmung fiel ebenso würdig aus wie meine Frage. Bischof Ossius war einer der zuverlässigsten Berater Konstantins geworden, doch ich hatte mich nie für ihn erwärmen können. Sylvester schien anders zu sein. Ich stellte fest, dass ich neugierig war, mehr über diesen Priester zu erfahren, den Erben des Apostels Petrus und Patriarch des Erzbistums Rom.
Nachdem Cunoarda den jüngeren Priester in die Küche geschickt hatte, um dort zu
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