Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
Werkschuppen blieben sie stehen. Es war ein Haus ohne Wände; dicke, vom Alter dunkel gewordene Balken stützten an den vier Ecken das Dach, und darunter fanden sich zwei Tische, die bedeckt waren mit Hämmern, Setzeisen, Zangen, Hobeln, Nägelkisten.
Neben dem Schuppen stand ein Boot aus hellem, frischem Holz, der Bug in die Höhe gebogen, der Rumpf bauchig und breit. Einige noch fehlende Planken lagen längsseits des Bootes auf der Erde, und eine dieser Planken war an das Dach des Schuppens gelehnt. Feuer loderte unter der Planke. Wieder und wieder umfaßten die Flammen das Holz, dort, wo Steine es beschwerten, daß es sich unter der Last bog. Die Planke dampfte und zischte. Ein Mann mit knochigen Armen beugte sich über einen Wassereimer, tauchte einen Lederlappen darin ein. Er schlug ihn auf das Holz. Tropfen spritzten weit. Landeten sie im Feuer, strömte es weißen Rauch aus und kauerte sich zusammen, ehe es zu alter Kraft erstarkte.
»Kitan hat eine fremde Frau ins Dorf gebracht«, schrien die Kinder.
Sie hätte erwartet, daß der Mann aufblicken würde, daß er sich die nassen Finger an der Hose trocknete und ihr die Hand darböte. Aber er hielt das Gesicht fest auf die Planke gerichtet, fuhr fort, sie mit dem Leder zu benetzen, ohne sich um Alena zu scheren.
Hatte er die Kinder nicht gehört? Konnte es sein, daß er so sehr in seine Arbeit vertieft war? Selten hatte Alena ein Gesicht gesehen, das soviel Ernst ausdrückte wie dieses. Der Mann war nicht alt, aber die Haut auf seinen Wangen durchzogen tiefe Furchen. Sie schien dünn zu sein, trotz ihrer gesunden Bräune, und lag eng auf den Knochen auf.
Plötzlich fragte er wie beiläufig: »Was will die Frau, Kitan?«
»Sie hat Hunger.«
»Lauf zum Backhaus und gib ihr Brot.«
Das konnte nicht sein. Alena folgte Kitan, während ihr vor Wut die Schläfen brannten. Er hatte sie nicht einmal angesehen. Kamen so oft Fremde hierher, daß sie ihm keinen Blick wert war? In einer Ahnung schaute sie über die Schulter zurück. Da stand der knochige Mann, an einen Pfosten des Werkplatzes gelehnt, und sah ihnen nach.
Rasch blickte Alena wieder nach vorn. Sie lachte in sich hinein. So machte er das also. Er schaute nur, wenn es niemand bemerkte. Wäre sie nicht beobachtet worden, hätte sie gern die Haare hinter die Ohren gestrichen und das Kleid gerichtet.
Alena betrachtete die dicken Stämme, aus denen die Hauswände gezimmert waren. Kalbshäute bespannten die Fenster darin. Neben den Wohnhäusern schwebten Vorratshütten aus Flechtwerk auf Pfeilern von aufgeschichteten Steinen. Gärten lagen rings um das Dorf, Reihen von Stecken, an denen Ackerbohnen sich hinaufrankten, vergilbte Rübenwedel, Hanfbüsche, Gurken. Die Männer und Frauen, die dort arbeiteten, richteten sich auf und gafften. Eine dickleibige Frau grüßte freundlich. Ihr Mund zeigte Zahnlücken.
Es stank nach Fisch. Im ganzen Dorf roch es nach Tang und Fischeingeweiden. Waren an den Häusern dort hinten nicht Netze aufgespannt? Ein silbernes Glitzern zwischen den letzten Hütten gab Antwort: ein weiterer See.
»Zwei Seen habt ihr«, murmelte sie, »so dicht beieinander.«
»Weißt du, wie die Tür zum Backhaus aufgeht?« Kitan griff nach ihrer Hand.
Lächelnd umschloß Alena die Kinderfinger. »Du wirst es mir sicher zeigen.«
Der Junge zog sie zum Eingang eines großen Hauses, das in der Mitte des Dorfes stand und einigen Abstand zu den anderen Häusern hatte. »Schau, wenn du einfach den Riegel anheben willst, hakt er sich fest.« Zum Beweis rüttelte Kitan daran. »Ich kenne aber den Trick«, triumphierte er. »Sieh her!« Er löste sich aus Alenas Hand und schob zwei Finger in eine Öffnung unterhalb des Riegels. »Jetzt läßt er sich ganz leicht bewegen.« Kitan hob ihn an und öffnete die Tür. Die Ehrfurcht, mit der er das Backhaus betrat – zögernde, halbe Schritte –, zeigte, daß er noch nicht häufig hier gewesen sein konnte.
Wann hatte sie eigentlich das bewegliche Holzstück im Riegelkasten von Rethras Backhaus entdeckt? Hatte sie es selbst herausgefunden? Nein, Mstislav hatte es ihr gezeigt in jenen Tagen. Alena preßte die Lippen aufeinander. Sie hatte gedroht, laut zu schreien, als er sich ein Brot unter das Hemd stopfte. Scheinbar traute er ihr den Verrat zu. Unter Flüchen auf das weibliche Geschlecht hatte er es damals zurückgelegt und war hinausgestampft. Mstislav, der vor vier Wochen noch gelebt hatte.
Sie legte Kitan die Hände auf die Schultern und trat hinter
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