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Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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graues Wollhemd war zur einen Hälfte unter den Gürtel gezogen, die andere Hälfte hing darüber. Es war etwas Liebenswertes an diesem dürren Menschenkind, an der Selbstvergessenheit, mit der er Alenas Schritte überhörte, an den unzulänglichen Kleidern, an der hellen Stimme, mit der er seinen Stolz in den Wald hinaussprach.
    »Grüß dich, kleiner Baumwicht.« Sie lächelte.
    Der Junge fuhr herum. Auf Wangen und Ohren prangten schwarze Flecken, als hätte er sich mit rußigen Fingern das Gesicht bemalt. Er riß die Augen auf und starrte Alena an. »Wer bist du?«
    »Eine hungrige Frau. Kannst du mich zu deinem Dorf führen?«
    »Warum hast du eine Schlinge in der Hand?«
    »Ich wollte Vögel fangen.« Sie warf die Weidenruten fort. »Führst du mich?«
    Das Gesicht des Jungen wurde ernst. Er schüttelte den Kopf. »Nein. Ich muß arbeiten.« Froschartig ging er in die Hocke und sprang wieder hoch, in den Händen einen verrußten Tontopf. Er hob den Deckel an und neigte den Topf, so daß Alena hineinblicken konnte. »Siehst du? Der muß voll werden.« Birkenstreifen bedeckten den Boden des Gefäßes.
    »Ich kann so lange warten. Wofür sammelst du die Rinde?«
    Er schnalzte die Zunge. »Bist ganz schön neugierig.« Dann seufzte er, als läge eine schwere Last auf seinen Schultern, drehte Alena den Rücken zu und fuhr fort, Rindenstreifen vom Baum zu ziehen.
    »Na, wofür?«
    »Ich muß Pech kochen. Mein Vater braucht es.«
    »Soso. Ist er Fischer und macht damit die Netze haltbar?«
    »Ach Unsinn. Fischer!« Die Linke des Jungen umschloß mehr und mehr Rinde, während er mit der Rechten neue vom Baum löste und sie zu der anderen stopfte. »Mein Vater ist kein Fischer. Er baut Boote! Das kann nur er. Und ich helfe ihm. Ganz viel Pech braucht er, das macht er auf die Boote drauf, außen, dann schwimmen sie besser.«
    »Bootsbauer? Das ist wirklich etwas Besonderes.«
    »Weiß ich.«
    Nach einer Weile war der Topf gefüllt. Der Junge sah Alena vorwurfsvoll an. »Du bist ja immer noch hier.«
    Sie lachte. »Wer hat dir beigebracht, so streng zu gucken?«
    Nun zog er die Lippen zu einem Punkt zusammen, schloß beinahe die Augen. Nur aus schmalen Schlitzen unter gerafften Augenbrauen schoß er hitzige Blicke.
    Alena lachte lauter. So ein süßer kleiner Kerl!
    Sie konnte sehen, wie sich ein Lachen in ihm hinaufarbeitete, daß er nur mit Mühe den Mund zusammenkniff und auch die Augen sich zu öffnen versuchten. Schließlich brach er ebenfalls in Lachen aus. »Das ist gemein!« prustete er. »Du darfst nicht albern, wenn ich streng bin. Dann kann ich das nicht mehr.«
    »Und das ist gut so. Dein Topf ist voll, gehen wir zum Dorf?«
    »Kommst du mit zur Grube?«
    Alena nickte.
    Sie liefen nicht in den Wald hinein, wie Alena gehofft hatte, sondern zurück zum See. Zwischen den Bäumen am Ufer schob der Junge Laub beseite, räumte Äste fort, die ein Loch bedeckt hatten, und hob eine Schale aus der Vertiefung heraus. »Siehst du? Da drin sammelt sich das Pech.«
    Es roch tatsächlich nach der öligen schwarzen Masse, streng, beißend. Der Geruch fachte Alenas Hunger an.
    »Man muß die Schale unten in das Loch stellen, und den Topf darauf. Weißt du, der Topf hat im Boden eine kleine Öffnung. Da läuft das Pech heraus.« Der Junge stellte beide Gefäße in die Grube. Die Schale verschwand völlig, und rings um den Topf blieb eine Handbreit Platz. »Da muß jetzt Holz hin.« Er stand auf und sammelte trockene Zweige und kleine Äste. Bald erhob sich Alena und half ihm. Sie füllten die Grube bis oben mit Brennmaterial.
    Da hielt der Junge inne und strahlte Alena an. »Ich kann schon ganz alleine Feuer machen!«
    Sie hätte ihn küssen können. Diese leuchtenden Augen, der kleine Nasenrücken, der sich frech in die Welt reckte, die Kinderlippen, die unregelmäßige Zähne freigaben. »Du bist sicher der ganze Stolz deiner Familie.«
    »Was denkst du!« rief er. Mit nahezu männlicher Gebärde zog er ein handlanges Feuereisen aus dem Gürtel. Dem Säckchen, das er ebenfalls am Gürtel befestigt trug, entnahm er einen schwarzen Stein mit weißen Flecken und einen Brocken Zunder. Es roch nach Pilzen, als er ihn Alena vors Gesicht hielt und in den Fingern rieb. »Hab ich selber hergestellt. Weißt du, wie das geht?«
    »Es ist ein Pilz, oder? Wir nehmen zu Hause immer Schafwolle zum Feuermachen.«
    »Schafwolle? Das finde ich blöd. Also, für
Zunder
« – er betonte das Wort, als spräche er über eine Heldentat –

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