Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
notwendig. Du hast sie mir beschrieben; ein einzigartiges Pferd, nicht zu ersetzen. Ich kann mit Pferden umgehen. Wenn wir die Stute entführen, sind die Götzenpriester entwaffnet. Es ist doch so, oder?«
Alena wollte widersprechen, wollte Dinge vorbringen, die das Vorhaben des Hünen unmöglich machten, aber sie konnte es nicht. Er hatte recht. Er hatte ein Mittel gefunden, Rethra zu verderben.
Alena schien in tiefe Gedanken versunken zu sein. Seit sie mit dem Hünen aus dem Wald wiedergekehrt war, starrte sie vor sich hin, als würde sie betrachten, wie ihre Füße das Kleid vorwärts warfen und wie es zurückschaukelte, nur um erneut vorangeworfen zu werden. Vielleicht stellte sie sich endlich dem Gedanken, daß eine gemeinsame Zukunft mit diesem Franken nicht möglich war. Zeit wurde es, denn warteten nicht ungleich schwerere Erkenntnisse auf sie? Uvelan würde ihr bald die Augen öffnen.
Der Mönch blieb stehen, blickte zu ihm zurück. Er wartete, bis Uvelan ihn eingeholt hatte. »Was könnte Euch bewegen, Svarogh zu verlassen und Euch dem wahren Gott zuzuwenden? Was müßte geschehen?«
»Ihr fragt den Priester Svaroghs!«
»Das weiß ich. Sagt es mir einfach, es können auch große Dinge sein. Ich möchte wissen, worum ich Gott bitten kann.«
»Ihr wollt Euren Gott bitten, etwas zu tun, das mich von Svarogh abbringt? Aber was sollte das sein? Selbst wenn ich ohne Zweifel sehen würde, daß es den Christengott gibt – und ich ahne es bereits, Ihr habt mir Überzeugendes berichtet –, nie könnte ich den Gott meiner Väter verlassen, den, dessen Bote ich bin. Gebt diesen frevelhaften Gedanken auf!«
»Nun, es genügt Gott nicht, daß ein Mensch seine Existenz akzeptiert. Der Allmächtige erwartet völlige Unterwerfung. Er duldet keine anderen Götter, und er duldet keinen Stolz. Bedenkt, wie weit er uns überlegen ist! Wenn wir uns ihm hingeben, wandelt sich sein Zorn in Liebe. Es hat nie ein Mensch bereut, sich Gott unterworfen zu haben. Er beschenkt uns reich.«
»Warum, Tietgaud, legt Ihr solchen Wert darauf, andere zu Eurem Gott zu ziehen? Mit dem gleichen Ziel zieht Ihr nach Rethra und setzt Euer Leben aufs Spiel.«
Der Mönch zwirbelte sich den Flaum auf dem Schädel, strich ihn nachdenklich wieder glatt. »Es sind zwei Dinge, glaube ich. Gott erzieht seine Nachfolger dazu, jeden Menschen zu lieben. Und wen man liebt, den möchte man retten. Wenn Ihr wüßtet, daß ich auf eine Wolfsgrube zulaufe, würdet Ihr mich nicht warnen? Oder wenn Ihr von einem Himbeerstrauch Kenntnis hättet, würdet Ihr Euch den Bauch allein vollschlagen oder würdet Ihr mit uns teilen? Es ist Liebe, zum einen Teil.«
»Dafür, daß Ihr die Menschen aus Liebe zu Eurem Gott ruft, seht Ihr mitunter recht verbissen aus.«
»Möglich. Niemand wird gern zurückgewiesen, wenn er liebt. Und die Liebe kann auch streng sein: Erziehen nicht Eltern ihre Kinder in Strenge, um sie vor Schaden zu bewahren?«
»Das ist wahr.«
»Das zweite ist der Auftrag, den der Herr uns gab. Bevor er seine himmlische Gestalt annahm und zum Vatergott zurückkehrte, befahl er uns, hinzugehen in alle Welt und von ihm zu sprechen. Denn auch er liebt die Menschen, so fehlerhaft sie sind. Er möchte nicht, daß einer verlorengeht. Wißt Ihr, woran ich kürzlich denken mußte? Ihr habt Ähnlichkeit mit einem König vergangener Zeiten. Nebukadnezar hieß er, und der Prophet Daniel deutete ihm, dem damals mächtigsten Mann, einen Traum. Höre, mein König, sagte Daniel, was der höchste Gott über dich beschlossen hat: Manwird dich aus der menschlichen Gemeinschaft ausstoßen, und du mußt unter den Tieren hausen. Du wirst Gras fressen wie ein Rind und naß werden vom Tau. Erst wenn sieben Zeiträume vergangen sind, wirst du erkennen: Der höchste Gott ist Herr über alle Königreiche der Welt. Er vertraut die Herrschaft an, wem er will. Uvelan, ob Ihr es glaubt oder nicht, es ist alles so eingetroffen. Die Schrift sagt über Nebukadnezar, daß er Haare bekam, lang wie Adlerfedern, und Nägel wie Vogelkrallen. Als er den Verstand wiederfand nach langer Zeit, lobte er Gott für seine Gerechtigkeit.«
Der helle Schrei eines Pferdes zerriß die Luft. Ein zweites Pferd wieherte. Innerhalb von Augenblicken waren Alena, Uvelan und die Franken vom Weg gesprungen. Sie versammelten sich hinter einem Bocksbeerenstrauch, duckten sich hinter die mit ledrigen Blättern und schwarzen Beeren besetzten Zweige.
»Habe ich es nicht gesagt?« wisperte Audulf.
Weitere Kostenlose Bücher