Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
»Schon heute morgen wußte ich, daß wir beobachtet werden.«
Der Hüne raunte: »Kein Hufschlag. Sie stehen. Es kann nicht weit sein.«
»Sie warten auf uns.« Mit dünnem Finger zeigte Audulf durch den Busch. »Von dort ist es gekommen. Den Weg hinunter. Sie warten darauf, daß wir ihnen in die Arme laufen.«
Tietgaud streckte die Schultern und trat neben den Busch. »Was nützt es, wenn wir uns verstecken? Wir wollen Rethra nicht überfallen, wir wollen als Gäste empfangen werden. Also sollten wir auch wie Gäste dorthin reisen.« Gedankenverloren hob er das silberne Kreuz von seiner Brust und rieb es zwischen Daumen und Zeigefinger. »Es sind nicht mehr unsere Waffen, die uns schützen, sondern die lebendigen Engel des Herrn.«
Versuchte er, seine Männer zu stärken? Auch Uvelan trat aus der Deckung heraus. »Glaubt Ihr das wirklich, Tietgaud? Schutzgeister wachen über uns?«
Der Mönch sah ihn an, und die dunklen Augen funkeltensanft. Sie glänzten wie Schmetterlingsflügel. »Ja, das glaube ich.«
Unvermittelt lachte Alena auf. »Wißt Ihr, wo wir sind? Seht Ihr das helle Holz durch die Bäume scheinen? Das ist die neue Brücke. Und das Pferdewiehern rührte von den Tieren der Wache. Hier endet das Gebiet der Tollensanen.«
»Das bedeutet?« Der Mönch kniff mißtrauisch die Augen zusammen.
»Folgt mir.« Mit den leichten Schritten der Heimkehrerin eilte Alena voran. Bald brach Licht durch die Bäume, blendender Tagesschein, und Flecken blütenblauen Himmels zeigten sich zwischen weißen Wolkenhaufen. Der Wald machte einer abschüssigen Heide Platz. Dort, wo die Karrenspuren hinab an den tiefsten Punkt der Heide reichten, spannte sich eine Brücke aus hellen Balken über einen Fluß. Drei Häuser hockten nahe der Brücke im Grün, und in ihrem Schatten grasten Pferde. »Kommt, gehen wir!«
Es roch nach feuchtem Stroh, und von den Dächern der Häuser dampfte es. Die Pferde hoben die Köpfe. Leise gurgelte der Fluß.
Am Beginn der Brücke sprang ein Schatten auf, zerrte an dem Seil, das ihn am Hals festhielt. Der Schatten fletschte die Zähne, sprang hierhin und dorthin, immer zurückgerissen im halben Satz. Wütendes Gebell hallte vom Waldrand wider.
»Nette Begrüßung«, murrte Embricho. Alena ließ sich nicht beirren. Sie lief auf den Schatten zu, als wollte sie ihn umarmen.
In einem der Häuser gab die Tür ein schwarzes Loch frei, und es bückte sich ein Mann hindurch, in der Hand den Schaft einer Axt. Ein weiterer folgte. Noch einer.
Alenas Schritte wurden kleiner.
Einer der Männer – er trug einen buschigen Schnauzbart –, beugte sich zum Hund herab, und augenblicklich verstummte dieser. Die drei setzten vor der Brücke ihreAxtschäfte auf den Boden auf und stellten sich mitten in den Weg.
»Was wird das?« raunte der Mönch. »Wohnt hier das Raubgesinde in festen Häusern am Wegrand?«
»Laßt mich reden.« Alena warf den Franken einen strengen Blick zu. »Kein Wort von Euch. Verstanden?« Dann wendete sie sich in slawischer Sprache an die Bewaffneten. »Wir sind keine Händler. Laßt uns passieren.«
Die Gesichter der drei regten sich nicht.
»Habt ihr nicht gehört?«
»Weib«, dröhnte es schließlich unter dem Schnauzbart hervor, »ich sehe fünf Männer. Was erdreistest du dich und sprichst?«
Ohne einen Laut öffnete die Priestertochter den Mund und schloß ihn wieder.
Uvelan sah die Franken Blicke tauschen, den Fährtenleser Handzeichen geben zum Wald hin. Er rührte kurz mit zwei Fingern an die Priesterbinde auf seiner Stirn, rückte das Schlangenarmband zurecht. Mit gemessenen Schritten trat er zwischen Alena und die drei Männer. »Ich erinnere mich an Zeiten«, begann er, »als hier noch keine Brücke stand. Eine Furt war es, die die Möglichkeit bot, ohne Wegegeld den Fluß zu überqueren.«
»Diese Zeiten sind vorbei.«
»Was verlangt ihr?«
»Den hundertsten Teil dessen, was ihr mit euch tragt, als Brückenzoll.«
»Wir sind keine Kaufleute. Seht ihr irgendwo einen Karren oder einen schwerbeladenen Esel?«
Der Schnauzbart entblößte gelbe Zähne. »Einen Esel sehe ich schon. Ob er schwer beladen ist, weiß ich nicht zu sagen.« Die Schultern seiner Gefährten zuckten in unterdrücktem Lachen.
Uvelan stand schweigend, wartete. »Weißt du«, sagte er endlich mit wohlgewogenen, schweren Worten, »wen du vor dir hast?«
»Es ist unentschuldbar. Nein.«
»Ich bin Uvelan, ein Freund König Cealadrags. Wollt ihr den Herrn der Tollensanen, Zirzipanen, Kessiner
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