Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
waren keine weichen Gräser mehr, die sich an ihre Hände fügten, sondern harte Zweige und trockenes Laub.
Plötzlich erstarrte alles, erkaltete. Was blieb, war der Wind und die Hand auf ihrem Gesicht, eine Hand, die sie sanft streichelte. Es mußte Morgen sein. Alena getraute sich nicht, die Augen zu öffnen.
Sie fühlte den Finger, der dem Nasenrücken folgte, atmete die Hand ein, die über die Wange strich. Daumen fuhren zärtlich über die Stirn, Fingerspitzen strichen Haarsträhnen aus den Augen. Das Gesicht diesen Händen entgegenzustrecken!Sie mit den Lippen zu berühren, sie zwischen die Zähne zu nehmen, sich in ihnen zu vergraben! Alena erbebte, wagte nicht, sich zu rühren. Ihr Atem beschleunigte sich.
»Ich komme zurück«, raunte die Stimme. Die Hände entfernten sich, Kniegelenke knackten, ein Körper beschwerte den Waldboden. Schritte.
Sie kniff die Augen zusammen, fest entschlossen, es nicht enden zu lassen. Solange sie Embricho nicht ansah, würde er sie lieben, würde er keine Gewissensbisse haben wegen Heilwich.
Lange wartete sie. Es blieb still.
Jemand stöhnte. Von der anderen Seite war ein geräuschvolles Gähnen zu hören. Audulfs Stimme bellte in den Morgen hinein: »Unechte Eulenrufe! Ich sage es Euch, wir werden verfolgt, und sie verständigen sich mit Vogelstimmen. Es ist ein Unterschied, ob es
Huuuu
geht oder
Chrüüüü
, ich höre so etwas.«
Brun grunzte ein Lachen. »Und weshalb verfolgen sie uns, du Fürchteviel?«
»Ich weiß es nicht. Aber sagt, Tietgaud, habt Ihr es nicht gehört?«
»Nein. Ihr träumt, nichts weiter. Laßt doch die Eulen rufen wie sie mögen.«
Es half nichts, die Hände würden so bald nicht wieder ihr Gesicht berühren. Sie drückte sich auf die Ellenbogen hoch und sah um sich. An einem Baum stand er, ein Stück abseits vom Lager. Sie hörte Embrichos Wasser auf den Baum treffen, hörte, wie das Rauschen zunahm, wie es sich in ein Zischen verwandelte und wieder abebbte. Tropfen zerplatzten geräuschvoll auf dem laubbedeckten Boden. Der Hüne zog sich die Hose zurecht, drehte sich um. Er würdigte Alena keines Blickes. Wollte er es verbergen vor den anderen? Sie lächelte.
Was war das auf ihrem Bauch? Ein dunkles Stück Leder lag dort, und etwas zappelte darunter. Mühsam kroch einSchmetterling hervor, die Flügel sonnengelb, feine rötliche Punkte darauf. Er klappte die Flügel auseinander und zusammen, krabbelte einige Schritte, dann erhob er sich taumelnd in die Luft und flatterte hinauf zwischen die Bäume.
Alena stand der Mund offen. Wer hatte so etwas je gehört! Welche Liebesgabe … Der Atem stockte ihr, sie wollte lachen vor Freude. Irgendwo zwischen den Baumkronen verlor sie den gelben Falter aus den Augen.
»Schaut Euch das an«, sagte Tietgaud. »Alena hat einen Schmetterling geboren.«
Sie sah zu Embricho hinüber. Warum war er so blaß?
»Ich glaube, das ist ein gutes Zeichen«, wisperte Audulf. »Unsere Verfolger werden uns nicht schaden können.«
Tietgaud wischte Audulfs Bemerkung mit der flachen Hand fort. »Versammelt Euch zum Morgengebet.« Ohne die Zustimmung der anderen abzuwarten, sank der Mönch auf die Knie. Er ließ die gefalteten Hände in den Schoß sinken, starrte vor sich hin.
Brun folgte ihm zuerst, dann, nach einigen reglosen Augenblicken, Audulf. Zuletzt kniete sich Embricho nieder. Der Blick des Mönchs trat in Alenas Gesicht.
Sie ließ sich neben dem Hünen nieder. Während die Franken die Augen schlossen, hielt sie ihre offen und sah in die ernsten Gesichter. Auf der Stirn des Mönchs zeigten sich Falten, gestapelt wie Tücher.
Zuerst betete Embricho: »Einen Pflug will ich mit der Linken halten und einen Stock mit der Rechten, Herr, um die Ochsen anzutreiben, wenn sie müde werden. Ich will mit diesen Händen ein Sätuch über der Schulter zusammenknoten, und mit den gleichen Händen will ich in hohem Schwung die Körner ausstreuen. Ich bin nicht bereit, sie auf einem heidnischen Altar zu verlieren. Errette uns!«
»Herr Jesus, unser Erlöser und Retter«, sagte der Mönch, »du kennst mich, seit ich aus dem Leib meiner Mutter in die Hände der Ammen glitt. Ich habe mich vom Reichtum, vom Wohlbehagen an Vaters Hof nicht beeindrucken lassen, habeihn bestürmt, mich nach Corbeia Nova gehen zu lassen. Du hast mein Leben bewahrt und begleitet, all die Jahre im Kloster und auf den Reisen im Auftrag des Abtes. Nun knie ich hier in den Wäldern der wendischen Barbaren, im Glauben, deinem Willen zu folgen.
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