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Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Vielleicht hast du längst andere Pläne, und ich bin nichts als ein Waffenträger, der über das Schlachtfeld irrt und seinen Herrn sucht. Vielleicht bin ich zu bedeutungslos, um aufgehalten zu werden, und zu schwach, um deinen Plänen zu nützen. Auch die Leben der Menschen um mich herum kennst du: Embricho, Brun, Audulf, …« Er stockte. »Alena. Wenn du es willst, kannst du uns durch Mauern in die Feste Rethra hineinführen. Wenn du es willst, kannst du verhindern, daß die Teufelspriester uns ihren Götzen opfern. Bewahre uns. Amen.«
    »Amen«, ertönte es aus den Kehlen der anderen Franken.
    »Kyrie«
, sang der Mönch.
»rex genitor ingenite …«
Er stimmte die Töne lange an, und wanderte mit ihnen eine Treppe hinab, Ton für Ton.
»… vera essentia …«
Einen Augenblick hob er noch einmal die Stimme, stieg eine Winzigkeit hinauf:
»Eleyson.«
Dann brach er ab.
    Die Franken antworteten mit der gleichen Melodie.
    Tietgaud sang:
»Kyrie, luminis fons rerumque conditor, eleyson.«
    Die Franken antworteten. Bruns Stimme dröhnte, die Melodie Audulfs schepperte. Embricho bildete die Töne tief in der Kehle. Der Gesang hallte in den Wald hinein.
    Langsam tastete sich Alenas Hand voran, schob sich unter Embrichos Arm und sank auf sein Bein herab. Die Wärme des fremden Körpers drang tief in ihre Finger ein.
    Die Melodie des Hünen stolperte. Er riß die Augen auf, schloß sie wieder. Mit einem festen Griff schob er Alenas Hand fort.
    Der Mönch war an der Reihe. Er sang:
»Kyrie, qui nos tuæ imaginis …«
    Lächelnd legte Alena ihre Finger ein wenig höher den Oberschenkel hinauf zur Ruhe.
    »Was tust du da«, zischte Embricho und schüttelte sie ab.
»Kyrie, qui nos tuæ imaginis signasti specie, eleyson«
, intonierte er.
    Alena flüsterte: »Warum hast du mich gestreichelt heute morgen?«
    »Ich habe dich nicht gestreichelt.«
    »Es war sehr schön.«
    »Vielleicht hast du geträumt.« Der Hüne holte tief Luft, sang etwas lauter:
»Christe, Dei forma humana particeps, eleyson.«
    »Was ist los mit dir? Den gelben Schmetterling habe ich sicher nicht geträumt. Den haben die anderen auch gesehen.«
    »Christe, lux oriens per quem sunt omnia, eleyson.«
    »Und die Eulenfeder, und die rundgeschliffenen Steine?«
    »Nicht von mir.
Christe, qui perfecta es sapientia, eleyson.
«
    »Das stimmt nicht. Woher sollen sie sonst sein?«
    »Kyrie, spiritus vivifice, vitæ vis, eleyson.«
    »Du lügst mich an. Warum tust du das?«
    »Kyrie, utriqusque vapor in quo cuncta, eleyson.«
    Alena erhob sich.
    »Kyrie, expurgator scelerum et largitor gratitæ«
, sang Embricho.
    Was hatte sie hier getan? Mit Christen auf dem Waldboden gekniet, zu einem fremden Gott gebetet, gebilligt, daß sie ihm fremdartige Gesänge weihten … Alena fühlte plötzlich Ekel in sich aufsteigen, Abscheu für die Franken. Sie haßte diesen seltsamen Glauben. Im Kopf donnerte es, Hammerschläge, schweres, ohrenzerreißendes Dröhnen. Kälte zog ihr über das Gesicht, die Nase fror, und die Augen waren wie in weiches Fell gebettet. Sie warf sich herum und rannte.
    Bäume jagten an ihr vorüber, sie sprang, warf sich vorwärts, stürmte, nur fort, fort …
    Weit kam sie nicht.
    Ein fester Schlag traf sie im Gesicht, als wäre sie gegeneine Mauer geprallt. Dann preßte sich eine Hand auf ihren Mund. Der Geschmack von Schweiß: Saures Stechen, das zwischen die Lippen drang.
    Sie schrie. Nichts als ein leiser, tierischer Ton bildete sich hinter der Hand.
    Etwas blitzte auf, dann spürte sie kühles Eisen am Hals. Jemand drückte die Schneide eines Dolches gegen Alenas Haut.
    »Schweig still, hörst du?«
    Sie gefror, versuchte, ruhig zu atmen. Die Gedanken zerstoben wie ein aufgeschrecktes Rudel Rehe, jagten hangauf, hangab, schlugen Haken. Das Messer hatte Embricho an sich genommen. Die Schere. Die Schere war ihre letzte Rettung. Vorsichtig tastete Alena nach dem Beutel an ihrem Gürtel. Das Wollknäuel konnte sie fühlen und die Knochennadel. Die Schere fehlte. Wann hatte sie sie verloren?
    Die kalte Klinge schabte leicht am Hals herauf. »Keine Dummheiten, verstanden?«
    Am Boden neben dem nächsten Baum bewegte sich etwas. Ein Mann kauerte dicht am Stamm und band ein Hanfseil zur Schlinge. Dort, hinter dem Busch, lag da nicht auch einer im Laub? Der, der sie hielt, war nicht der einzige, der sich hier verborgen hatte.
    Leise wehten die Klänge von Tietgauds Stimme herüber:
»… o consolator dolentis animæ, eleyson.«

25.

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