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Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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ergriff Alenas Schulter. »Gibt es ein gutes Versteck nahe bei Rethra, um im Notfall schnell in der Burg zu sein?«
    Ein Versteck … »Im Wald, im Westen der Burg, gibt es den Laketeich, dort ist vergangenes Jahr eine Frau ertrunken. Ihr Geist wird im Gewitter in die Wolken gezogen, bewegt sie und heult aus ihnen. In der Nacht kehrt sie zum Teich zurück. Jeder hält sich fern von diesem Ort.«
    »Gut. Fürchtet ihr euch?«
    Einige der Linonen traten von einem Bein auf das andere, andere schoben Laub mit den Füßen zusammen, begutachteten ihre Axtblätter. Schließlich hob Vymer den Kopf. »Hat sie Macht über uns?«
    »Das kann ich nicht sagen. Aber wenn ihr wollt, können wir die Geister des Hains um Unterstützung bitten, können ihnen Kränze flechten und opfern, was wir heute finden: Wurzeln, Beeren, Pilze. Die Kraft der Haingeister wird größer sein.«
    Nach einem kurzen, prüfenden Blick in die Runde nickte Vymer. »Machen wir es so. Wir werden uns dort verbergen.«
    Noch immer hielt Uvelan Alenas Schulter umfaßt. »Wenn einflußreicher Besuch da ist, wo übernachtet er in Rethra?«
    »Er schlägt sein Lager in der Vorburg auf.«
    »Gut. Das heißt, daß ich unbemerkt dorthin gelangen muß. Wie komme ich in die Tempelburg, ohne daß man mich sieht?«
    Er wollte Vaters Einfluß vernichten, weil er einem anderen Gott diente. Was tat sie hier? Sie half Uvelan und fiel ihrem Vater in den Rücken! Alena sah Nevopors Gesicht vor sich, den festen, ernsten Mund inmitten des Bartes, die strengen Augen, in deren Winkeln aber doch – nur für wenige sichtbar – ein feines Lächeln spielte. Vaters breite Stirn, den immer tadellosen schwarzen Taillenmantel, in dessen Verzierungen kleine Flämmchen funkelten. Wie ersich über ein schmackhaftes Essen freuen konnte, über die Sonne, wenn sie am Morgen den Tempel berührte, über eine große Volksmenge! Das Gesicht straffte sich dann, und beim größten Hochgefühl zuckte ein wenig der Mund.
    Ein leichter Druck an ihrer Schulter. »Alena?«
    »Es ist mein Vater!«
    Uvelans Blick ließ sie nicht los. Es lag alles in diesen Augen, alles – in dem Moment, in dem sie es darin suchte, fand sie es auch: Trauer über ihren Unwillen, Geduld, Zuneigung, Kälte, Würde. Sie mußte an die Tränen zurückdenken, die sie gerade vergossen hatte, an die tröstende Hand des Priesters in ihrem Nacken. Die zärtlichen Finger, die noch am Morgen ihr Gesicht gestreichelt hatten, das alles war er, Uvelan. Er war enttäuscht von ihr. Vater hatte sie selten berührt. Manchmal hatte sie auf seinem Schoß sitzen dürfen, als sie noch ein Kind war. Als ihre Brüste sich entwickelten und sie die Haltung einer Frau angenommen hatte, war es, als fürchte er sich vor ihr.
    Uvelan nickte, wie um zu zeigen, daß er mit ihrem Entschluß einverstanden war. Um den Mund fand sich ein bitterer Zug, aber die Augen verstanden sie.
    »Es gibt einen Weg.« Alena schluckte. Sie trat an den Priester heran und reckte den Mund zu seinem Ohr hinauf. »Im Morgengrauen«, flüsterte sie, »findet sich kein Wachposten auf der Ostmauer. Vater duldet es nicht, daß die ersten Sonnenstrahlen einen Krieger berühren, statt daß sie den Tempel küssen. Bevor die Sonne aufgeht, steigt Jarichs Sohn zum Lucinsee hinunter, um die Reusen zu überprüfen. Während er am Ufer ist, steht das Seetor offen, und niemand wacht.« Wie oft hatte sie diesen Augenblick genutzt, um der Burg zu entkommen und in den blumenübersäten Wald einzutauchen! Sie löste sich und trat einen Schritt zurück, ohne die Augen von Uvelans Gesicht zu nehmen.
    Er lächelte nicht. Ein ernster Ausdruck lag auf seinen Zügen. »Danke.« Sanft ergriff er ihre Hand, nur für einen Augenblick.
    Alena versuchte ein Lächeln, aber es wollte nicht gelingen. Sie fühlte sich, als hätte sie ihren Vater erstochen.
    »Bist du bereit, zu den Franken zurückzukehren? Versuche, sie noch einige Tage hinzuhalten. Vielleicht läßt sich so ihr Leben retten.«
    Sie nickte.
    »Und du, Vymer, begibst dich mit deinen Leuten zum Laketeich. Dort wähle einen aus eurer Mitte aus, der in Rethra nicht bekannt ist. Er soll in der Burg ankündigen, daß Alena und der Kriegertrupp einen stattlichen Franken gefangen haben und daß sie nicht mehr weit von Rethra sind. Er soll sagen, daß sie auch Waffen erbeutet haben und ihn deshalb baten, vorauszueilen, weil es mit der Beute und dem Gefangenen etwas länger dauert. Nevopor wird das Ritual vorbereiten und unaufmerksam sein.« Uvelan

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