Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
Mantel hielt sie sicher.
»Du verachtest mich, nicht wahr? Auch wenn es nur Franken sind, ich meine, ich …« Das Schluchzen hinderte sie daran, weiterzusprechen. Heiß flossen Tränen über ihre Wangen.
Als eine starke, große Hand ihren Nacken berührte, zuckte Alena zusammen. Die Hand löste sich, dann kehrte sie wieder, zärtlicher, und begann sie zu streicheln. Alena hörte ein beruhigendes Summen, ein Lied, das sie nicht kannte, tief in der Kehle angestimmt. Ihre Arme entspannten sich, immer ruhiger atmete sie und lehnte sich gegen die Brust, die sich ihr geboten hatte.
Die Hand wurde nicht müde, sanft über Alenas Nacken zu streichen. Fingerspitzen zeichneten Wellen auf ihren Hals, kraulten sie, liebkosten die Haut.
»Ich wollte eigentlich nicht fragen«, sagte Uvelan unvermittelt. »War der Schmetterling noch an seinem Platz?«
Alena hielt den Atem an. »Er war von dir?«
»Ja.«
»Und du … du hast mein Gesicht gestreichelt am frühen Morgen?«
Der Priester schwieg.
»Die Steine, die Eulenfeder, der Blumenkranz …?«
Der Wind wisperte durch die Blätter, und sie säuselten, tuschelten. Irgendwo knarrte ein Baum.
»Ich habe es für Kara getan.«
»Ich dachte immer, sie seien von Embricho und –« Sie stutzte. Es war einer dieser Momente, in denen alles plötzlich innehielt und größer wurde, in denen die Luft würzig und klar schmeckte und die Ohren das Knistern des Bodens wahrnahmen. Sie spürte, daß sie sich später an diesen Augenblick erinnern würde, auch wenn sie noch nicht sagen konnte, warum.
»Natürlich wollte ich, daß du dich freust. Aber es war eine späte Gabe an Kara, der du sehr ähnlich siehst.«
»Das ist der Name meiner Mutter.«
Der warme Mantel lüftete sich, Uvelans Hand löste sich von Alenas Nacken. »Komm, gehen wir zurück. Verzeih einem alten Narren.«
»Warte!« Sie trat zurück, richtete den Blick in das Gesicht des Alten. Es war ihr, als würde sie zugleich den ganzen Wald sehen: Das Licht, das durch das Blätterdach fingerte und weiße Käfer auf den Boden zeichnete; die Stämme und Stümpfe und die querliegenden Baumriesen; das Moos und die Kräuter mit ihren winzigen Blüten. »Du hast meine Mutter gekannt?«
Er setzte an zu sprechen, stockte. Dann sagte er: »Wir haben uns geliebt.«
»Aber, du bist, ich meine, du bist nicht –«
»– dein Vater, nein. Es war …« Uvelan senkte die Lider. »Kara und Nevopor waren bereits verheiratet. Es war ein großes Vergehen, sie zu küssen. Das Bettlager haben wir nicht geteilt.«
»Erzähle mir von ihr.«
»Betrachte dich im Wasserspiegel, und du siehst ihr beinahe ins Gesicht. Ihre Stirn war schmaler, das Haar ein wenig heller, aber sonst seht ihr euch sehr ähnlich. Kara vereinte zwei Gegensätze in sich: Sie war sanft, wenn sie liebte, und von unnachgiebiger Stärke, wenn ihr Ungerechtigkeit begegnete. Sie hat gekämpft, ausdauernd, sturköpfig beinahe. Für sich, für andere, das war ihr einerlei. Ihr Leben war ein Kampf gegen die Lüge und das Unrecht. Nie habe ich erlebt, das ihre Kraft erschöpft war.«
»Aber sie hat meinen Vater betrogen! War das nicht genauso ein Unrecht? Und hat sie ihn nicht belogen?«
»Doch, das hat sie«, raunte er. »Ja, sie hat das getan.«
Benommen folgte Alena dem Priester durch den Wald. Erst als der Hain in Sichtweite gekommen war, klärten sich ihre Gedanken. Sie rührte an Uvelans Arm und flüsterte: »Wenn Mutter dich geliebt hat, dann mußt du ein ganz besonderer Mensch sein. Ich glaube es.«
Hatte er das überhaupt wahrgenommen?
Unter den Augen der Linonen wurden Uvelans Schritte fest, der Bart hob sich ab von der Brust, der Rücken streckte sich. »Seid ihr bereit, euch für Svarogh einzusetzen?« rief er ihnen entgegen.
Die Krieger hoben ihre Äxte in den Himmel und jubelten. Rasch kamen sie näher, so daß Alena kaum Zeit blieb, sich noch einmal die Tränen aus dem Gesicht zu wischen. Die Linonen versammelten sich um den Priester.
»Ich muß nach Rethra«, sagte Uvelan, »und ich will, daß ihr euch zunächst im Wald versteckt. Später brauche ich euch, wenn ich das Wohlwollen der Fürsten und Kleinkönige gewonnen habe.«
Vymer zog die Brauen zusammen. »Willst du uns nicht mit dir nehmen, wenn du zu ihnen reist?«
»Ich reise nicht zu ihnen, sie kommen zu mir. In Rethra werden sich innerhalb weniger Tage Tausende von Menschen versammeln. Unter ihnen die Mächtigen, die ich zuüberzeugen versuchen werde.« Er langte zwischen den Kriegern hindurch und
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