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Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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verstanden?«
    Kaum merklich nickte sie. Es war, als sei sie nicht anwesend.
    Er trat mit großen Schritten auf sie zu, packte sie an den Haaren und zog sie zur Tür. Ihre Schreie taten ihm wohl. »Barchan!« brüllte er. »Da ist sie, deine Gefangene.«
    Der Herr der Tempelgarde löste sich aus der Gruppe der Wartenden und nahm Alena mit einem kalten Lächeln in Empfang. Er legte ihr die Hand ins Genick und schloß die Finger so kräftig um ihren Hals, daß ihr Schreien verstummte.
    »Wenn sie einen falschen Schritt macht, scheue dich nicht, den Dolch ausrutschen zu lassen.«
    Barchan nickte. »Ich werde dich nicht enttäuschen.«
    »Nimm dir vier Männer, und schaffe sie hinunter zu den Franken. Den Mönch bringe zum Westtor.«
    Erst als sich seine Atemzüge spürbar beruhigt hatten, kehrte Nevopor zurück ins Halbdunkel des Stalls. Er wandte sich zur hinteren Stallwand. Welches Verlangen er verspürte, diesen Mann zu verletzen, sein Blut fließen zu sehen!
    Langsam trat er näher. Noch näher. Fast berührten sie sich.
    Das Gesicht am bärtigen Kopf des Svarogh-Priesters, flüsterte er: »Ich würde dir gern auf der Stelle das Herz aus den Rippen schneiden, weißt du das?« Der Alte roch nach Kräutern, nach den Kränzen, die sich damals in den Ästen der drei Eichen im Windhauch gedreht hatten.
    Ruhig blickte Uvelan ihn an. Feine Äderchen durchzogen das Weiß rings um die grauen Augenscheiben.
    Wie alt er war! Die Brauen über den Augen zusammengewachsen und steingrau, Runzeln von den Wimpern bis zu den Ohren, vom Haaransatz bis zum Bart. Und doch strahlte das Gesicht jugendliche Macht aus. Trotzig wölbte die Unterlippe sich, der Haarschopf umwogte Stirn und Wangen, die Nasenflügel zuckten.
    Nevopor hörte ihn atmen, sah Uvelans Brust sich heben. Dann öffneten sich die Lippen des Alten, und er raunte: »Ich weiß, daß du das gern würdest. Aber du kannst es nicht. Hast du den Gequälten am Seeufer nicht gehört? Ich bin ein Mythos, ein Halbgott in den Augen des Volks. Halbgötter tötet man nicht heimlich. Es würde mich stärker machen.«
    Wie konnte er mit solcher Überlegenheit sprechen, er, der mit eisernen Schellen an die Stallwand gekettet war, er, der nach Sonnenaufgang am kommenden Tag sterben würde! Sorge kletterte mit winzigen, kalten Füßen Nevopors Rücken hinauf.
    Er zog den Dolch aus dem Gürtel, wog den mit Silberdraht verzierten Griff in der Hand. Dann umschloß er ihn fest, hob ihn vor das Gesicht des alten Priesters.
    Uvelans Augen öffneten sich um eine Winzigkeit weiter.
    Mit zitternder Hand setzte Nevopor die Spitze der Klinge auf die Stirn des Alten. Er zog den Dolch langsam zu Uvelans Nasenwurzel herunter, schnitt durch die Haut des Svarogh-Priesters. Dunkles Blut quoll hervor, tropfte über Uvelans Gesicht. Der Alte keuchte.
    »Siehst du, was ich kann?« lachte Nevopor. Er wischte die Klinge an Uvelans Brust ab, grub nach dem kleinen Schlüssel in der Ledertasche. Kaum war das Schloß an den eisernen Schellen geöffnet, stieß er Uvelan voran. »Los, zur Tür.«
     
    Die Sonne blitzte am höhnisch blauen Himmel wie ein Klumpen von Gold, der Tag sang das Lied vergnüglich im See planschender Männer und Frauen, das Lied rauschenden Korns, das Lied tollender Fohlen und freudespringender Böcke. Konnte es nicht regnen? Konnten nicht Wolken den Himmel verhängen?
    Barchans Faust in ihren Haaren. Hatte er ein Büschel herausgerissen, griff er nach. Es brannte wie Feuer.
    Ihre Füße, die einfach nicht laufen wollten, die sich ineinanderhakten, über unsichtbare Steine stolperten, sie zwangen, Barchans Schulter zu packen, um das Gleichgewicht zu halten und nicht am Haarschopf in der Luft zu hängen.
    Die Gaffer, die sich an der Treppe versammelten. Niemand hatte sie gerufen, niemand hatte ihnen befohlen herbeizueilen, und doch nahm die Menschenflut aus allen Winkeln der Vorburg kein Ende. Man sprang und stierte, tuschelte und starrte, sprach ihren Namen wie ein Urteil, wie eine Gewißheit, als habe er seit ihrer Geburt die Schande in sich getragen, die nun hervorgebrochen war. Menschen nickten, als hätten sie es schon immer gewußt, daß die Tochter des Hochpriesters ein schwarzes Herz hatte; andere stellten Vermutungen auf, was genau sie verbrochen hatte. Männernamen fielen, und das Volk ließ nicht einen der Großen aus, die sich zum Opfer versammelthatten, nannte die Häßlichen mit den Schönen, die Alten mit den Jungen – es spielte keine Rolle, Alena war es zuzutrauen. Gerüchte

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