Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
Entschluß der Priester wunderten, ihn zur Wahl zur stellen.
Ein Menschenopfer. Das hatte das Volk zusammengebracht. Der Tod.
Er konnte den Kopf nicht weit genug drehen, um hinter den Pfahl zu schauen, an den er gebunden war. Es mochte sein, daß Nevopor vor dem großen Tor stand, am Beginn der Treppe, die neben den Pfählen hinabführte, und daß er den Anblick genoß. Aber vermutlich war er eher nicht dort. Er würde sich selten zeigen, damit die Ehrfurcht, die das Volk empfand, wenn er auftrat, sich nicht abnutzte.
Die Burg, der Tempel … Und dann diese mit Wällen umschlosseneLandschaft von einer Größe, die kaum zu überblicken war. Es raubte Uvelan den Atem. Wer sollte es dem Volk verübeln, daß es angesichts solcher Weiträumigkeit, solcher ungesehenen Pracht einem neuen, falschen Gott nachlief?
Nun war es bereit, den letzten Schritt zu gehen. Den Priester Svaroghs zu töten, den Boten des Gottes, den es seit Urzeiten angebetet hatte.
Der Mönch neben ihm zog ebenfalls die Blicke auf sich. Man hatte ihm das Silberkreuz offen auf die Brust gelegt und ihm ein Kreuz aus Blut auf die Stirn geschmiert, um seinen Christengott zu verspotten. Wie viele der Redarier sahen das erste Mal einen Franken?
Beim Anblick des mißhandelten Menschen erschauderte Uvelan. Kälte und Wärme zogen ihm im Wechsel über den Rücken. Was würde Nevopor Alena antun? Würde er sie genauso quälen? Das geschundene Fleisch, das unter dem schwarzen Wollstoff hervorsah, entfachte Uvelans ganzes Mitleid. Dort, auf der Brust, ein rot-blauer Fleck mit dem Umfang einer kleinen Schüssel. Tietgaud mußte große Schmerzen leiden, auch wenn er aufrecht und stolz dastand.
Mochte Svarogh Alena vor dieser Marter bewahren! Sie war Nevopors Tochter – er würde sich selbst schaden, wenn er sie foltern ließ. Und eine Löffelspitze Liebe mußte er für sie empfinden. Das erschrockene Gesicht im Stall hinter dem Tempel hatte ihn verraten. Nein, er würde Alena nicht anrühren.
»Ihr seid tapfer, Tietgaud«, sagte Uvelan.
Ohne zu ihm hinüberzuschauen, stieß der Mönch hervor: »Wenn es zum Opfer geht, werde ich singen. Sie sollen sehen, daß ein Diener des Allmächtigen nicht zu brechen ist.«
Er litt wirklich Schmerzen. »Wenn ich die Lage richtig einschätze, wird Nevopor nicht beide von uns opfern. Einer wird leben, einer wird sterben.«
»Dann solltet Ihr nicht mit mir reden. Man schaut schon recht finster herüber.«
»Sie verstehen kein Fränkisch. Seht Ihr den Krieger dort? Er hat Anweisung, mich zum Schweigen zu bringen, wenn ich ein Wort in slawischer Sprache rede. Nevopor fürchtet meine Worte, aber er will nicht, daß das Volk es weiß, und so läßt er uns ungeknebelt.«
»Sie hören, daß es Fränkisch ist. Ihr macht Euch Feinde. Ich fürchte den Tod nicht – mein Gott ist ein Herr über Tod und Leben, und er wird mich wieder lebendig machen am Jüngsten Tag.«
»An welchem Tag?«
»Am Tag seiner Wiederkehr. Bevor mein Herr die Erde verließ, versprach er seinen Nachfolgern, daß er eines Tages zurückkommen wird. Dann wird er diese Weltordnung beenden. Alles geht im Feuer unter, und auf der Asche errichtet Christus ein neues Reich, eines, das nie mehr ein Ende nimmt. Die Toten werden zu neuem Leben erweckt, und sie feiern gemeinsam mit den Lebenden den Anbruch der Ewigkeit.«
»Er holt die Verstorbenen aus der Unterwelt?«
Tietgaud schien die Frage nicht gehört zu haben. Er richtete den Blick zum Himmel. »Keine Tränen wird es mehr geben. Niemand wird Grund haben zu weinen, versteht Ihr? Alle Krankheiten, alle Wut und dieses Frieren, Hungern, Morden – das gibt es nur, weil wir von Gott getrennt leben. Lebt er wieder unter uns, hört es alles auf. An seine Stelle tritt eine neue Blüte des Lebens, eine gute Zeit, ewige Zufriedenheit und Neugier und Erkenntnis.«
»Freut Euch nicht zu sehr darauf. Ihr werdet noch eine Weile warten müssen. Svarogh hat mich hierhergebracht, damit ich zum Volk spreche. Er wird dafür sorgen, daß ich es bin, der geopfert wird. Ihr werdet leben.«
»Ich werde Gott bitten, daß die Wenden mich wählen. Ansgar ist bei den Heiden gestorben, und auch ich will für meinen Glauben den Tod erleiden. Wenn das der Preis ist, um zu diesem Volk zu sprechen – ich werde ihn bezahlen. Habe ich es nicht geahnt, habe ich es nicht schon beimÜberqueren der Elbe gewußt? Ich mußte viel an Ansgar denken in den letzten Wochen.«
»Ihr wollt also Euren Gott um den Tod bitten? Nun, ich bitte meinen.
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