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Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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und er wirkte fuchteinflößend, war hoch aufgerichtet wie eine der vier uralten Eichen in dem zerfallenen Hain. »Ich würde dich nicht verraten, Uvelan«, flüsterte sie.
    Sie mußte die Augen von ihm lösen, konnte nicht länger in sein ernstes Gesicht schauen, in die klaren grauen Augen, die sie bis in den Bauch hinunter berührten, sonst würden die Tränen gewinnen. Sie richtete den Blick nach oben, sah in die Lichtkegel, die durch Löcher im Dach in den Stall fielen. Strohteilchen tanzten darin. Oder waren esalles Fliegen, war es Ungeziefer, das auf einen toten Körper wartete, auf dem es sich niederlassen konnte?
    »Geh jetzt, rette dich. Nevopor wird kommen, um mich zu holen. Es wäre nicht gut, wenn er dich hier sieht.«
    »Ich mache dich los von diesen Ketten, irgendwie, und dann fliehen wir, und du redest mit den Zupans. Wir können es doch versuchen! Ich will so gern ein Sperling sein, der in deinem Geäst wohnen darf, in dir, dem mächtigen Eichenbaum. Der Baum lebt ohne den Sperling, aber wo ruht der Vogel, wenn es den Baum nicht gibt? Ich weiß, daß du mich nicht brauchst, aber ich brauche dich.«
    »Wer hat gesagt, daß ich aufgegeben habe? Der Plan hat sich geändert, das ist alles. Ich werde beim Opferritual zum Volk sprechen, auch wenn Nevopor es zu verhindern versucht.«
    Da stand er, angekettet, und sprach wie ein Fürst, dessen Heer dem Gegner dreifach überlegen war. »Unterschätze meinen Vater nicht!« flehte sie.
    »Das habe ich zweimal getan. Ein drittes Mal geschieht es nicht. Sag Embricho, daß ich den Verrat verzeihe. Geh zu ihm, befreie ihn, und fliehe mit ihm. Warte nicht einen Wimpernschlag länger. Wenn ihr die Burg verlassen habt, geh zum Versteck der Linonen. Sag ihnen, daß sie sich unter das Volk mischen sollen, das dem Opfer beiwohnt. Wenn ich das Lied Svaroghs anstimme, mögen sie mit mir singen. Die Linonen sollen ohne Waffen kommen. Nevopor darf nicht mißtrauisch werden.«
    Konnte sie nicht irgendwie das Schloß an der Kette zertrümmern? Uvelan hier zurückzulassen war wie ein weiterer Verrat.
    »Geh!« Es klang zornig.
    Erschreckt sah Alena auf, wischte sich die Tränen aus den Augen. Schritt für Schritt wich sie zurück, ohne den Blick von ihm zu lösen. Als ihre Hand die Stalltür berührte, blieb sie stehen. »Uvelan?«
    »Was?«
    »War Kara sturköpfig?«
    Da schlug er die Augen nieder, und seine Nasenflügel bebten. »Ich habe Svaroghs Gesetz gebrochen, indem ich sie küßte. Wie kann ich ihr Schuld zuweisen an dem, was geschehen ist?«
    »Wovon sprichst du?«
    »Wie viele junge Paare habe ich zu Partnern bis zum Tod erklärt vor den heiligen Eichen! Sie brachten Brot, manche ein Huhn, etwas Met. Scheu haben sie mich angeblickt; es war nahezu immer der junge Mann, der die Bitte vortrug. Ich habe sie gelehrt:
Ein
Mann,
eine
Frau, das ist das Gesetz Svaroghs. Und sie haben genickt, sich zärtlich angesehen, sich den Schwur gegeben. Auch ich wollte das Gesetz Svaroghs nicht übertreten. Die meisten Frauen haben sich voller Scheu von mir ferngehalten. Die es nicht taten, habe ich in ihre Schranken gewiesen. Ich habe es damals tief in mir gefühlt, daß ich ein Vorbild sein mußte für das Volk, und ich wollte ein gutes Vorbild sein, mit aller Kraft. Keine Abenteuer. Eine Frau, und keine andere. Nur wie sollte ich die angemessene Frau finden, wenn ich beim Erntefest, bei der Sommersonnenwende, der Wintersonnenwende, dem Furchenopfer, der Regenweihe und dem Ackerwälzen stets als Svaroghs Priester unter den Menschen stand, wenn ich würdevoll die Riten einführen und würdevoll schreiten und würdevoll mit den Männern sprechen mußte?«
    Er schwieg einige Augenblicke und fuhr leiser fort: »Wir trafen uns damals heimlich im Wald, spazierten, sprachen lange miteinander, liebkosten uns, obwohl wir wußten, daß es die Götter erzürnen würde. Sie war verheiratet und betrog ihren Mann, Nevopor. Wie hätte sie ihn lieben können? Was er tat, haßte sie. Jeder Balken, der Rethra weiter emporwachsen ließ, schmerzte in ihrer Brust, und die Götterbilder, die Nevopor anfertigte, waren unglaublicher Frevel für sie. Sie hat ihn gewarnt, ihn beschimpft, ihn angefleht, diesen Weg zu verlassen. Seine Antwort waren Nägel, die er im Feuer glühend machte. Während seineKumpanen Kara festhielten, preßte Nevopor ihr das Eisen auf den Leib, um sie zu bestrafen.«
    »Vater hat …?«
    »Sie tauchte eines Tages am Hain auf, bat mich, sie aufzunehmen und zu schützen vor ihrem

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