Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
Blumenkranz zu Hause an der Wand, ist es nicht ein Wunder, daß er sich so gut hält, obwohl die Blüten vertrocknet sind? Uvelan hat genau die richtigen dafür ausgewählt.«
Sie sah ihn vor sich, wie er an jenem Tag zu zittern begann. Er hatte verlangt, daß sie den Pfeil in seinem Rücken stecken ließen; es sei Gift, das ihn töte, und nicht die Wunde. Bringt mich zum Hain, hatte er hervorgewürgt. Und so starb er dort, wo er hingehörte, unter den vier himmelstürmenden Eichen. »Danke«, betete er, »daß ich verstehen durfte.« Alena mußte das silberne Kreuz in die Zweige der Eichen hängen, daß es dort leise hin und her schwang und sich drehte, wie die Blumenkränze es getan hatten. Bevor Uvelans Augen brachen, bat er darum, bei den Hügeln des Vaters und des Bruders verbrannt und bestattet zu werden.
»Gehen wir, Liubin. Ich werde dir mehr erzählen, wenn du größer bist.«
Im Gestrüpp kroch eine Pflanze dahin und streckte Blüten aus, kleine, blaue Kelche. Zimbelkraut. Alena weinte. Sie schämte sich vor ihrem Sohn, wischte sich die Tränen von den Wangen. »Zum Hain, Liubin, bist du einverstanden?«
Der neue Hain. Ein hüfthoher Zaun aus verzierten Latten, der einen Hügel einschloß. Gutmütiges Plätschern. Seit Generationen verehrten die Tollensanen diese Quelle als heilig, und sie hatten Alena zu ihrer Hüterin bestimmt. Es mochte sein, daß Alena den Bootsbauer nicht liebte. Aber sie achtete den wortkargen, knochigen Mann. Und er achtete sie. Der Zaun, den er mit der Hilfe einiger anderer Männer errichtet hatte und die Scheu, mit der er sie jeden Morgen verabschiedete, wenn sie sich auf den Weg zum Hain machte, bewiesen es. War Achtung nicht einiges?Und es gab Liebe in ihrem Leben, Liebe für Kitan und für Liubin, ihren Sohn.
Vor der Pforte im Zaun wartete ein Dutzend Männer und Frauen. Sie würden ihr Fragen stellen, würden sie um Hilfe bitten. Das Volk schätzte ihren Rat. Sie vertrauten ihr, wenn sie Streit schlichtete, weil sie feinsinnig Recht und Unrecht zu unterscheiden wußte.
»Brun?«
Ganz vorn in der Reihe stand er, lächelte unbeholfen und nickte.
Sie nahm ihn bei der Hand, öffnete die Pforte. Hinauf zum moosigen, wasserüberspülten Stein zog sie ihn. »Wie geht es dir?«
»Bitte«, raunte er, »laß sprechen Fränkisch.«
»Gut. Du hast andere Gelegenheiten, dein Slawisch zu üben. Warum bist du hier?«
»Wie geht es Audulf?« Er rieb die aufgeschrammten Fingerknöchel. Strenger Laugengeruch stieg Alena in die Nase.
»Seine Frau war kürzlich bei mir. Ein handfester, lautstarker Mensch, aber man kann ihr vertrauen. Sie sagte, er sei geschickt mit dem Schnitzmesser. Einigen hölzernen Hausrat habe sie schon eintauschen können gegen Korn und Fleisch.«
»Das ist gut.«
»Und du? Ist der Gerber zufrieden mit dir?«
»Er näht fast nur noch Schuhe und schneidet Gürtel oder Riemen. Die ganze Lederarbeit überläßt er mir. Siehst du das?« Brun hob die Hände.
»Du arbeitest hart.«
»Aber ich wollte mich bei dir bedanken. Hilfe von deiner Seite haben wir wahrlich nicht verdient.«
»Doch, Brun. Und du hast sie auch schon reichlich entlohnt. So vieles hast du mir über den Christengott erzählt.«
»Wollen sie immer noch davon hören?«
»Hier hat niemand Tietgauds und Uvelans Tod vergessen.Es hat Gewicht, was jemand sagt, bevor er stirbt, besonders, wenn es der alte Svarogh-Priester ist.«
»Darf ich dich noch etwas fragen? Es ist … Neugier. Wie sieht sie aus?«
»Wer?«
»Audulfs Frau.«
Alena lachte. »Breit und füllig. Sie hat einen freundlichen Mund, das wird ihm gefallen haben.«
»Füllig – und das, wo doch Audulf dürr wie ein Birkenzweig ist …« Er schwieg einen Augenblick. »Und du? Bist du glücklich? Die Töchter des Bootsbauers hassen dich, habe ich gehört.«
Sie blickte auf den Stein hinab, aus dem durch einen Riß das Wasser sprudelte. Nie versiegte es; der Stein spuckte fortwährend frisches Naß. Über ihnen knarrte ein Baum, als sei er ein alter Mann. Behutsam wanderte ihr Blick zu den Menschen hin, die am Fuß des Hügels warteten. »Meine Liebe gilt einem Höheren. Jeder Mensch ist glücklich, Brun, der weiß, daß er das Richtige tut.«
Einige Worte zu Rethra
Mit Corbeia Nova, dem Herkunftskloster Tietgauds, werden Sie leicht Corvey in Verbindung bringen, die nach dem Mutterkloster Corbie an der Somme benannte Tochterabtei. Ratzeburg erkennen Sie in der Racesburg wieder, und Zwerin identifizieren Sie als Schwerin.
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