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Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Haus.
    Langsam wandelte sich die schimmernde Glut in Asche, und es war, als würden die fahlen Baumstämme näherrücken, als würde sich der Wald dichter um das Lager schließen. Ebo lehnte bei den Pferden an einem Baum und sah aufmerksam in die Nacht. Alena konnte den Widerschein der letzten Glutreste in seinen Augen sehen, wenn erdas Gesicht zu ihr drehte. Ebo war die letzten Tage, wenn sie nicht ritten, gehinkt; die Wunde von Mstislavs Beil knapp unterhalb seines Knies schloß sich nicht. Er klagte nie. Ein stiller Mensch, schwer einzuschätzen, was er dachte.
    Kühl wurde es. Feiner Nebel spielte um die Baumwurzeln. Es war keine freundliche Nacht. Mochte es nicht ihre letzte sein, dachte sie, und in diesem Moment sank Ebo still am Baumstamm herunter wie ein Wollappen, den man gegen eine Wand geworfen hat. Alena starrte hinüber, wartete darauf, daß er sich wieder aufrichten würde. Ebo saß reglos. Schwieg.
    Dann plötzlich eine Flüsterstimme hinter ihr: »Wir haben dein Lied gehört.« Der weiche Dialekt der Polaben:
gehört
wie
gehöngt
gesprochen.
    Sie schluckte. »Ja.«
    »Die Franken haben dich gefangen?«
    »Ja.«
    »Was wolltest du hier?«
    »Ich war mit Männern aus Rethra unterwegs, wollten über die Elbe.«
    »Und die Franken haben dich unter ihren Augen weggefangen?«
    »Sie sind tot. Könnt ihr sie finden und verbrennen, ihnen Hügelgräber aufschütten, einen Trauertanz abhalten und ein Totenmahl?«
    »Denke schon.«
    »Denkt daran, ihnen die Waffen, den Schmuck und die Kleider beizugeben, das, was die Franken dort gelassen haben, und ein wenig Essen für das Fortleben nach dem Tod. Ich fürchte, daß sie wiederkehren werden, verstehst du? Wir dürfen sie nicht im Zorn gehen lassen. Bitte, könnt ihr das tun? Rethra wird es euch danken.«
    »Gut.«
    »Was ist mit Ebo?«
    »Wer ist …? Der wird nichts mehr sagen.«
    Sie nickte grimmig.

6. Kapitel
     
     
    Alena betrachtete die schlafenden Franken. Irgendwo hinter ihr mußte der Polabe kauern, er, der den Tod brachte. Das Lied auf der Traubeneiche war tatsächlich ein Totenlied gewesen, ein Totenlied für die fränkischen Krieger.
    Sie sah zu Brun hinüber. Die letzten blaugelben Flammen, die sich noch auf den schwarzgekohlten Ästen der Feuerstelle duckten, als flehten sie die Nacht um Gnade an, ließen Lichter auf seinem Gesicht flackern. Wie ein Kind sah er aus, den Arm unter das Ohr geschoben, die hohe, wuchtige Stirn von Träumen zerfurcht. Das sorgenvolle Zucken im Mundwinkel – wußte er, daß es seine letzte Nacht war? Ein blutrünstiger Franke war er. So gut er auch zu täuschen vermochte: Er verdiente es zu sterben.
    Neben ihm lag Audulf auf dem Rücken. Er hatte sich die Hände auf die Brust gelegt; sie streckten sich nacheinander aus, berühten sich aber nicht. Jeder Atemzug hob sie hinauf und ließ sie wieder herabsinken. Friedlich ruhte Audulfs Gesicht, er war wohl mit einem Lächeln eingeschlafen. Möglich, daß er die Waldgeister kannte, obwohl er ein Franke war; möglich, daß er nichts anderes tat als harmloses Fährtenlesen, und doch – die Polaben würden ihn zurecht zermalmen.
    Und Embricho? Sollte sie zusehen, wie die blauen Augen brachen? Sollte sie gestatten, daß polabische Äxte seinen Körper fällten? Die Nawyša Devka durfte das nicht hinnehmen. Er war das Opfer. Er mußte leben bis zum ihm bestimmten Tag und dann für Svarožić sterben.
    »Binde mich los«, bat sie den Polaben. »Ich muß mich um etwas kümmern.«
    »Nein. Der Zupan hat anders entschieden. Ich sollte deinen Wächter töten und dich angebunden lassen.«
    »Warum das?«
    »Sorge dich nicht, Frau. Die Franken werden morgen sterben.«
    »Warte! Dem Hünen darf kein Haar gekrümmt werden.«
    Keine Antwort.
    »Hörst du?«
    Es blieb still. Der Polabe war verschwunden.
    Wie konnte sie den Hünen unversehrt fortbringen? Manche der Franken hatten das blanke Schwert neben ihre Nachtstätte gelegt und schlummerten mit der Hand auf dem Knauf. Mörderische, kalte Werkzeuge waren es, die Menschen aus der Welt beförderten, Geräte, die ihre Seelen hinauf in den Himmel schleuderten, die Öffnungen schlugen, durch die das Blut und das Leben aus Männern und Frauen herausströmte. Glichen diese Männer nicht schlafenden Dämonen? Dem Größten unter ihnen war sie zur Wächterin bestimmt. Und da sie ihn im Augenblick nicht von den anderen zu trennen vermochte, mußte sie mit ihm auch die Todgeweihten wecken.
    »Em-bri-kcho.«
    Nichts.
    »He, Em-bri-kcho!«
    Der

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