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Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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oben Ausschau, daß sich kein Wolf heranpirscht.« Die Kinder wagten es nicht zu murren. Vater konnte als höchster Priester Rethras über die Stammesfürsten bestimmen und tat ihnen Svarožićs Willen kund – so bengelhaft sie sich auch verhielt, ihnen allen geisterte durch den Kopf, daß die Macht Nevopors auch durch ihre Adern floß, daß sie den Göttern näher war als alle anderen.
    Der Baum hob Alena bereitwillig in seinen Leib hinauf. Immer ruhiger wurde sie, immer mehr fühlte sie sich im Geäst zu Hause. Erst, als sie nicht weiterklettern konnte, weil die Äste zu dünn wurden, kehrte die Furcht zurück. Sie mußte die Arme um den Stamm schlingen, weil ihre Beine zu zittern begannen. Es war, als wollte ein Dämon sie zum Springen zwingen.
    Alena blickte in die Höhe, um nach ihrem Stern zu suchen. Am Tage! schalt sie sich. Am Tage suchte sie ihren Stern. Er würde nur matt leuchten, das wußte sie, matt wie die Sterne der bösen Menschen. Vielleicht zitterte er. Er war bereit, herabzufallen aus dem Himmel, zu sterben, die Gesellschaftder anderen Sterne zu verlassen, wie sie die Gesellschaft der Menschen zu verlassen im Begriff war. Unter dem Baum wartete Tietgaud. Unter dem Baum wartete der Tod.
    Sie schloß die Augen. So gern wollte sie Geborgenheit geben, wollte ein kleines, schutzbedürftiges Menschenkind begleiten. Beinahe fühlte sie es: die weiche, winzige Hand, die sich um ihren Finger schloß, noch feucht, weil sie im Mund gesteckt hatte. Da stand es, das Kind, wankte, um nicht umzufallen, der Mund geöffnet vor Staunen über sich selbst und über die Welt. Große, glänzende Augen saugten die Farben der Umgebung in sich auf. Ein Sohn – was würde sie nicht geben dafür!
    Sie würde etwas sagen müssen, wenn sie wieder heruntergestiegen kam. Was sollte sie tun, wie sollte sie ihr Leben retten? Mit feuchtem Blick spähte sie durch die Blätter. Der Baum war gut gewählt, Alena konnte im Licht der untergehenden Sonne über die Wipfel des Waldes hinwegschauen. Wie eine grüne Matte lag das Land vor ihr. Polabengebiet. Senken und Hügel gab es, eine Wiese für die Götter. Wollte Svarožić ihren Tod? Lehnte er das Opfer ab, das sie ihm nach Rethra brachte? Sie fühlte sich plötzlich, als würde er sie überhaupt nicht kennen, als wäre der Feuergott in seiner Macht viel zu groß, um einen Wurm wie sie zu beachten.
    Sie war die Nawyša Devka! Natürlich kannte der Dreiköpfige sie.
    Wie kam es, daß Bäume aus der Ferne immer
weich
aussahen?
    Alena blinzelte. War das nicht eine Rauchsäule, die da einige hundert Schritt entfernt den Wald mit dem roten Himmel verband? Möglicherweise eine Siedlung? Das Klopfen in ihrem Hals wurde stärker, schneller. Wenn es so war, vielleicht befand sich dann jemand auf der Suche nach Beeren oder Pilzen in Hörweite, oder noch besser, vielleicht überprüften einige Männer Fallgruben und Schlingen nach gefangenen Tieren, ganz in der Nähe?
    Was, wenn sie einfach aus Leibeskräften um Hilfe schrie?
    Die Franken würden sie vom Baum holen und töten, bevor jemand hier wäre. Außerdem konnte die Rauchsäule ebensogut nur von einem Kohlenmeiler aufsteigen. Der Köhler täte gut daran, sich vor den Franken verborgen zu halten, Hilferufe hin, Hilferufe her.
    Sie entschied sich zu singen. Holte Luft, blähte die Brust auf und sang aus voller Kehle ein Totenlied. Ein Totenlied mit veränderten Worten. Es handelte von Franken, von einem jungen Mädchen, das gefangen war, von der Pflicht zu kämpfen um des allmächtigen Svarožić willen. Schon der Frevel, daß jemand dem Totenlied andere Worte zu geben wagte, mußte jeden Polaben warnen. Wenn sie kamen, würde Alena sie bitten, den Hünen am Leben zu lassen. Sie würden der Nawyša Devka gehorchen.
    Unter sich hörte sie laute Flüche, und dann knackte die Traubeneiche vom Gewicht mehrerer Männer, die auf dem Weg zu ihr nach oben waren. Alena sang aus Leibeskräften.
    Bis ihr eine Faust ins Gesicht schlug.
     
    Die Glut eines heruntergebrannten Feuers färbte die Gesichter der Franken rot wie Dämonenfratzen. Sie lagen schlafend, bis auf Ebo. Alenas Arme waren nach hinten um einen Baumstamm geschlungen. Gefesselt. Irgendwo oberhalb der Nase erwachte stechender Schmerz, und dann donnerte ein dumpfes Gewitter durch ihren Kopf.
    Lange sah sie in jeden Baumzwischenraum, bemühte sich, das Dunkel der Nacht außerhalb des Feuers zu durchdringen.
    Sie sehnte sich nach ihrem Bettlager in Rethra, auf der Bank in Vaters

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