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Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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bedeuteten. Er wußte plötzlich, was sich im Beutel befand. Er wußte, weshalb er all das vergraben hatte. Und er wußte, wer ihm das Leben geraubt hatte, wem er verdankte, daß er als Jünglingin Träume versunken und erst als Greis wieder erwacht war. Er wußte, wer Uvelan gewesen war.
    Aus der Nacht war Tag geworden, und sein Verstand arbeitete nun so klar, daß ihm die kristallscharfen Gedanken weh taten, als schnitte er sich an ihren Kanten.
     
    Nicht weit einer Hundsrose bereiteten sie ihr Nachtlager. Alena betrachtete im letzten Tageslicht den dornigen Strauch mit den riesigen Blüten: Einige waren von der Sonne weiß geworden, andere, die kleinen, erst frisch geöffneten, waren im Inneren rot gefärbt und zu den Rändern hin von einer Farbe, die zwischen Rot und Weiß lag. Sie verströmten einen würzigen Hagebuttengeruch.
    »Die Wenden haben wirklich alles gestohlen«, schimpfte Tietgaud. »Die Waffen der Toten, die Pferde, das letzte Trockenfleisch.«
    »Die Felle haben sie nicht mitgenommen.« Embricho sprach ruhig. Er löste die Stricke von einem Bündel und entrollte es.
    »Wollt Ihr Felle essen?«
    »Nein, aber auf ihnen schlafen. Morgen früh sollten wir jagen gehen.«
    »Und womit, wenn ich fragen darf? Die Bögen sind weg. Wollt Ihr Euer Schwert nach einem Hirsch werfen?«
    »Mir wird etwas einfallen.«
    »Tietgaud?« Audulf saß mit untergeschlagenen Beinen auf einem Bärenfell.
    »Was?«
    »Es waren Polaben, die uns überfallen haben.«
    »Woher wollt Ihr das wissen?«
    »Die Redarierin hat es mir gesagt.«
    »Was kümmert es mich! Es sind alles Wenden. Die Reda …« Die Augen des Mönchs weiteten sich. »Das klingt nach Rethra.« Er wendete sich zu Alena hin. »He! Du kommst doch nicht aus Rethra?«
    »Nicht alle Redarier kommen aus Rethra«, sagte Alena,ohne ihn anzusehen. »Es ist ein Volk, ein Verband von Stämmen.«
    »Das sind die Stämme, die diese Tempelburg errichtet haben, ja?«
    »Ja.«
    »Dann hausen sie also in den Wäldern und Sümpfen, die diese Teufelsstätte umgeben.« Tietgauds Mund wurde klein und schmal. »Was hast du so weit im Westen gesucht?«
    Alena bohrte die Fingerspitzen ins Moos. »Das würdet Ihr nicht verstehen.« Jetzt krallte sie die ganze Hand in den Boden.
    »Oh, ich verstehe sehr gut. Ihr wart auf einem Beutezug, nicht wahr? Ihr wolltet die Elbe überqueren und Vieh stehlen. Morden, plündern!«
    Alena entschloß sich zum Gegenangriff. Sie mußte ihn ablenken. »Ihr entrüstet Euch? Ihr, die Ihr Jahr um Jahr Eure thüringischen Handlanger schickt, die wie blutlüsterne Wölfe ins Slawenland einfallen, Dörfer niederbrennen, Frauen, Kinder und Männer umbringen zu Hunderten?«
    »Schhhh!« Audulf breitete die Arme aus, streckte den Rücken. Der Mund stand ihm offen, und er schloß die Augen. »Hört ihr das?«
    Ein leises Donnern kam aus der Ferne näher, wurde zu einem Prasseln, zu einzelnen Hufschlägen. Auf dem Weg, kaum fünfzehn Schritte vom Lagerplatz entfernt, jagte ein dunkler Schatten vorüber. Das Donnern entfernte sich.
    »Ein Reiter«, murmelte der Mönch. »Ein einzelner Reiter, wie ist so etwas möglich?«
    Alena zog die Brauen zusammen. »Ein Bote.«
    »Hier im Slawenland? Ihr habt Reiterboten?«
    »Warum erstaunt Euch das?«
    »Nun, ich vermutete Reiterboten ausschließlich bei edleren Völkern.«
    Alena schnaubte. »Und die Slawen zählt Ihr nicht dazu.« Sie wartete keine Antwort ab. »Habt Dank für die Ehre, daß Ihr mich heute an Eurer Weisheit habt teilhaben lassen.«Mit fahrigen Bewegungen schob sie das Fell zurecht, das sie auf Tietgauds Geheiß aus dem alten Lager mitgenommen hatte: den dünnen, dichtbehaarten Balg eines Hirsches. Das Gesicht vom Mönch abgewandt, legte sie sich darauf nieder, bettete die Wange auf den Oberarm. Sieben Tage mochte es noch dauern, dann würde dem Marder das Entsetzen nicht mehr aus dem Gesicht weichen. Dann würden ihr Tausende zusehen, wie sie die Franken ihrem Untergang zuführte.
     
    Am frühen Morgen gab es Regen. Kühler Wind fuhr über Alenas Körper und weckte sie. Die Blätter zitterten an den Zweigen. Dann kamen die Tropfen. Wie winzige Finger trommelten sie auf das Laub. Spritzer um Spritzer erreichte den Boden.
    Brun stöhnte einen Fluch. Auch die anderen erwachten. Aus dem sanften Rauschen wurde ein Prasseln, ein Brausen. Immer dickere, immer mehr Tropfen fielen vom Blätterdach herab.
    Die Erwachten rafften die Felle, die Waffen, die Kleidung und die Rüstungsteile zusammen und trugen sie zu

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