Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
gefürchtet.
Die großen Burgen wie das obodritische Reric oder die polabische Racesburg waren weit entfernt. Drohte ein Überfall, so vergruben die Dorfbewohner hastig, was sie nicht mitnehmen konnten, und zogen sich in den Wald zurück. Manches der wenigen Rinder hier an der Grenze hatte bereits mehrfach den Fluß überquert, zählte mal zum Besitz eines obodritischen Dorfvorstehers, dann gehörte es wieder einem polabischen Zupan. Einige Dörfer lagen verwüstet da, und der Wald eroberte mühevoll gerodete Felder zurück.
Und doch wußten die Menschen zu leben. Sie jagten den Auerochsen, den Luchs und den Bären, fischten in den Seen, schoren Schafe, sponnen Wolle, pflügten ihre Felder und pflanzten Gärten an.
Alena war ihr Leben fremd, sie war zum Herrschen erzogen. Tietgaud war es ebenfalls unbekannt, er gehörte in die Kirche Corbeia Novas, in der die Mönche im Winter weißen Atem hauchten, weil sie ungeheizt war, und sich dennoch glücklich wähnten. Brun hatte sich von Handwerk und Feldarbeit abgewendet, und Audulfs Denken kreiste einzig um die glitzernden, unterirdischen Paläste,um die roten Nebelkappen der verborgenen Erdmänner und Erdfrauen.
Auf ihm unbekannte Art verbrüdert mit dem wilden Menschenschlag der slawischen Wälder war allein Embricho. Er war als vierter Sohn eines Bauern aufgewachsen, hungernd, arbeitend, schmutzig und dennoch frei. Als die kargen Felder die Familie nicht mehr ernähren konnten, fand er Aufnahme im Magdeburger Kastell, versorgte die Pferde, wurde vom Kastellan im Schwertkampf unterwiesen. Er war es gewohnt, dem Leben seinen Platz abzutrotzen. Erfüllte es ihn auch mit Schrecken, seine blanke Haut verteidigen zu müssen – es war nichts, was ihm neu gewesen wäre.
Und in einer seltsamen Art von Gerechtigkeit würde Gott ihn belohnen, vielleicht, weil er nach einer maßvollen Form von Glück strebte. Anders als Alena, deren Becher in jungem Alter fast ausgetrunken war und die deshalb für den Rest des Lebens mit einem kleinen Schluck würde auskommen müssen, hatte Embricho lange gedurstet und war so bewahrt vor dem erschrockenen Blick auf den leeren Boden eines Trinkgefäßes.
8. Kapitel
Behutsam tauchte Uvelan die Hand ins Wasser, führte sie zum Mund und trank. Das kühle Naß tropfte in seinen Bart, rann kitzelnd am Hals herunter. Der erste Schluck war köstlich gewesen, je mehr er aber trank, desto stärker wurde der Beigeschmack von Sand und verrottenden Pflanzen.
Ein leiser Ton erklang in den Zweigen über ihm, beinahe menschlich, wie ein stilles »Nanu?« Uvelan blickte hinauf. Vom untersten Ast einer Schwarzerle, die weißbehaarten Füße in die Rinde gekrallt, blinzelte müde ein Waldkauz herunter. Der Vogel löste einen Fuß, zog ihn an den Bauch, dann setzte er ihn behutsam wieder auf. Er schloß die Augen, öffnete sie.
Und wenn es kein Traum gewesen war? Uvelan fuhr sich mit den Fingern durch den Bart. Wenn er wirklich an einem Seeufer Gegenstände vergraben hatte?
Weil er es gewußt hatte. Er hatte gewußt, daß sie ihn verfolgten … Er war auf der Flucht gewesen.
Fünf weiße, dünne Birkenstämme, entweder im Traum oder in der Wirklichkeit.
Uvelan stand auf. Der See mußte in der Nähe sein. Auf der Flucht war er auch hier vorbeigekommen. Er stolperte vorwärts, rutschte vom Ufer ab und trat mit lautem Klatschen ins Wasser. Rasch zog er seinen Fuß wieder heraus, eilte weiter. Als das Unterholz dichter wurde, die ineinandergewachsenen Dornensträucher am Ufer ihm den Durchlaß verwehrten, zog er sich die Schuhe aus und sprang in den Bach hinein. Das Wasser griff kalt nach seinen Knöcheln, so kalt, daß ihm der Schlamm am Boden wie eine warme, weicheHaut erschien. Uvelan lief schnell. Matsch und Wasser spritzten bis zu den Händen hinauf.
Trat er auf Steine und die Füße schmerzten vom harten Aufprall, so freute er sich. Es war, als würde der Weg, je heftiger er ihn fühlte, umso schneller vorübergehen, als würden die Schmerzen sein Vorankommen beschleunigen. Er kümmerte sich nicht darum, ob Dornen ihm die Hände zerstachen, wenn er die Zweige von Sträuchern zur Seite bog. Grimmig nahm er zur Kenntnis, daß die Kälte des Wassers die Beine betäubte.
Erst als das Dickicht sich wieder lichtete, kletterte er ans Ufer. Zuerst fühlte er die Schuhe nicht, empfand harte Zweige am Boden wie weichen Sand, und es fiel ihm schwer, im Laufen das Gleichgewicht zu behalten. Allmählich kehrte die Empfindung aber in seine Füße zurück.
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