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Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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streckte, das schien zu sagen, daß er sich für das Gespräch schämte, und nicht in einer Weise, die für sie wünschenswert war.
    Sie durfte ihn nicht ansehen! Er war das Opfer, sie die Schlächterin, die ihn zum Altar führte. Wie hatte es passieren können, daß sie ihren Blick wohlwollend auf ihn legte? Nichtsnutzig war sie, unwürdig, die Tochter des Höchsten genannt zu werden. Sie wollte den Mann erwählen, der Hochpriester Rethras werden sollte? Dann hatte sie noch eine Menge zu lernen. Härte gegen sich selbst zum Beispiel.
    Ohne im Gehen innezuhalten, schloß sie die Augen. Ein feines Ziehen hing ihr zwischen Lunge und Magen bei dem Gedanken, daß er sterben mußte. War es unabwendbar? Wieso gehörten sie verfeindeten Völkern an?
    Frevelhaft, diese Gedanken! Sicher lag es daran, daß sie zu lange getrennt gewesen war von Rethra, fern dem Tempel des Lichtbringers, fern ihrem Volk. Mein Volk, dachte sie. Es mußte ihr wichtiger sein als ein einzelner Mann, der ihr zufällig gefiel. Sie war die Nawyša Devka!
    »Was habt Ihr vor, Tietgaud?« hörte sie Embricho sagen.
    »Zu viert können wir nicht mehr das Schwert sprechen lassen. Ich denke, ich werde den barbarischen Priestern in Rethra Christus predigen. Wenn wir im Frieden kommen, werden sie uns wie Gäste behandeln, und sie werden erkennen, daß sie leblosen Götzen gehuldigt haben.«
    Wie verblendet der Mönch war! Kennte er Vater, er wüßte, daß er nicht ein Wort sprechen würde von seinem seltsamen Gott. In die höchste Tempelburg der slawischen Stämme einzufallen? Sie schüttelte den Kopf.
    »Und wenn sie uns nicht wie Gäste behandeln? Wenn sie unsere Häupter abschlagen und auf Pfähle aufspießen wie die der anderen? Habt Ihr die Wendin nicht gehört?«
    »Wendin?« donnerte Alena.
    Erschrocken wandten sich der Mönch und Embricho um.
    »Eure Weisheit macht einer Strohpuppe Ehre, Embricho! Wünscht Ihr, daß ich Euch in Zukunft Däne nenne und mich einen feuchten Dreck darum schere, ob Ihr Franke seid oder Sachse oder Westgote?«
    »Was ist mit Euch?«
    Alena spie jede Silbe mit eigenem Gewicht: »Ich bin Reda-ri-er-in! Und von allen Völkern im Slawenland möchte ich keinem anderen angehören, auch nicht in Eurem Mund. Habt Ihr das verstanden?«
    Sie erwartete eine wütende Erwiderung, ein verständnisloses Stirnrunzeln im geringsten. Nichts davon geschah: Der Hüne lachte. Seine Augen glichen zwei ruhigen, blauen Seen, als er sagte: »Ich habe Euch verstanden, Alena, Redarierin.«
    »Gut.« Sie mußte den Blick abwenden, und während der Marder und Embricho längst wieder ins Gespräch vertieft waren, packte sie die wahnwitzige Vorstellung, vor ihrem Vater zu knien, ihn anzuflehen, Embricho, nur diesen einen, am Leben zu lassen.
     
    Unweit des Weges erhoben sich Schwärme von geflügelten, roten Ameisen in die Luft. Tag für Tag waren die jungen Königinnen und die Männchen eifriger auf Grashalme hinaufgeklettert, auf Sträucher, wurden unwiderstehlich angezogen von der Höhe. Tag für Tag hatten die Flügellosen sie zurück ins Nest geholt. Bis zu diesem Zeitpunkt, an dem die Sonne richtig stand und allen Nestern des Waldes das Zeichen zum Hochzeitsflug gab. Da flogen sie auf, die roten Ameisen, die Königinnen, die den Rest ihres Lebens in einer dunklen Kammer unter der Erde verbringen würden, die Männchen, für die der Flug der Abschluß ihres kurzen Lebens sein würde. Ganze Wolken bildeten sie, Wolken, die über die Wipfel der Bäume hinaufstiegen, die sich dem Wind preisgaben, dem Wind, der den Duft anderer Ameisenvölker in sich trug.
    Unter ihnen bildeten Dutzende Dörfer kleine Inseln im Wald rechts und links des Weges, reihten sich wie Perlenauf eine Schnur beiderseits der Flüsse und Bäche auf, hingen wie Jungtiere an Zitzen an den Ausläufern der Seen, rangen um das Wenige, das es zum Leben gab im Sumpf und im dichten Wald.
    Es war das Grenzgebiet zwischen den Polabenstämmen im Westen und den Obodritenstämmen im Osten, getrennt nur durch einen Seitenarm der Stepenitz, einen Wiesenfluß, der Arme und Ausläufer in die sumpfigen Heiden und Waldstücke zu beiden Seiten ausstreckte. Einst hatten die Polaben zum Königreich der Obodriten gezählt, zusammen mit ihren Brüdern, den Wagriern, bis ein großer Streit die Völker trennte. Die Ortschaften, die die Polaben errichteten, duckten sich kärglicher unter das Firmament als die der Obodriten, dennoch waren die zähen Krieger der Polaben bei ihren Nachbarn nicht wenig

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