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Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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worden.«
    »Wartet, denkt an Uvelans Plan.« Es mußte Tietgaud sein, der das flüsterte. »Es hat vergangene Nacht große Wirkung gezeigt. Hat man uns angerührt? Wenn wir auszubrechen versuchen, stößt man uns womöglich einen Speer in die Brust. Woher wißt Ihr, daß sie uns nicht im Morgengrauen freilassen, weil sie den Alten nicht finden konnten? Wir sollten nicht in dieser Nacht unser Leben sinnlos in die Waagschale werfen.«
    »Habt Ihr nicht gehört, Tietgaud?« knurrte Brun. »Die Tür ist offen! Wir können hinaus. Was wollen wir mehr? Laßt uns in der Schmiedewerkstatt Waffen stehlen und dann zum Tor eilen. In der Dunkelheit der Nacht können wir entkommen.«
    Embricho raunte: »Besser noch, wir gehen gar nicht erst zur Schmiede. In dieser Zeit können sie zusätzliche Leuteans Tor rufen und uns mit Speeren einkreisen. Nein, wir reißen die Tür auf und stürmen ohne Umwege zum Tor. Die Wachen werden so überrascht sein, daß sie ihre Waffen erst gezückt haben, wenn wir längst unter dem Turm hindurchgerannt sind. Dann müssen wir schnell sein. Im dunklen Wald haben sie durch ihre Pferde keinen Vorteil.«
    Ein dumpfes Pochen wie von einer Faust an einer hölzernen Wand ließ Alena zusammenzucken.
    »Wir sollten uns rasch entscheiden«, flüsterte Tietgaud. »Er wird ungeduldig.«
    Der Obodrit war aufgewacht! Sie sprang zur Tür. Da hörte sie ein Ächzen, das Knacken von Holz, und sah, wie sich etwas Dunkles aus dem Boden löste.
    »So vergeltet Ihr es mir, daß ich Euch das Leben gerettet habe?« Der Alte! Er kam aus dem Boden hervor, wie der Geist eines Verstorbenen aus dem Hügelgrab. »Embricho zu groß, Brun zu breit. Aber mich könnt Ihr in diesem Loch vermodern lassen, meint Ihr? Ihr wolltet mich doch nicht ernstlich zurücklassen?«
    »Wir waren noch nicht sicher, ob wir wirklich fliehen oder den alten Plan weiterverfolgen sollten«, zischte Tietgaud.
    »Während Eurer Schritte ist mir fortwährend Holzstaub ins Gesicht gerieselt. Ich habe Asseln, Tausendfüßler und Spinnen überall in den Kleidern.« Wie zum Beweis klopfte sich der Waldherrscher auf die Hose, schüttelte sie, stampfte auf. »Auch wenn es mich sehr erstaunt, wie die Frau in die Burg eindringen und unsere Tür öffnen konnte – wir sollten die Gelegenheit nicht verstreichen lassen.«
    »Das meine ich auch«, raunte Brun.
    Alena stellte sich den Mondglanz auf den regennassen Holzplanken vor, die Umrisse der Wachposten ringsum auf dem Wall, ihre schwarzen Speere, die sich in den Sternenhimmel reckten. »Ich habe einen Vorschlag. Wir sollten schleichen, so lange es uns gelingt. Erst wenn sie auf uns aufmerksam werden, beginnen wir zu rennen. Die Wachen schauen ja nicht in den Hof, sondern nach draußen. Undunser Posten schläft. Vielleicht bemerken sie uns nicht, wenn wir ohne Laut zum Tor eilen.«
    »Die Engel Gottes mögen uns bewahren.« Tietgauds Stimme sank hinunter, tönte plötzlich in Hüfthöhe über dem Boden: »Beten wir gemeinsam.«
    Erschrocken blinzelte Alena ins Dunkel. Was würde der Alte tun, wie würde er der Anrufung des Christengottes begegnen?
    »Nun sprecht schon«, raunte Uvelan. Seine Stimme war ebenfalls hinabgesunken.
    Rasch fiel Alena auf die Knie.
    »Dominus regit me et nihil mihi deerit«
, flüsterte Tietgaud würdevoll, »
in loco pascuae ibi me collocavit, super aquam refectionis educavit me.
Der Herr ist mein Hirte, nichts ermangele ich. In grünen Auen weidet er mich, zu Wassern von Stille führt er mich.«
    Die Franken atmeten lauter. Verliehen sie den Sprüchen mit inbrünstigen Atemzügen Kraft?
    »
Nam et si ambulavero in medio umbrae mortis non timebo mala, quoniam tu mecum es virga tua et baculus tuus: ipsa me consolata sunt.
Wenngleich ich wandere im Tal von Finsternis – ich fürchte nicht Böses, denn du bist bei mir: Dein Stab und deine Stütze, sie trösten mich.«
    Niemand wagte zu sprechen, nachdem der Mönch geendet hatte. Sie blieben auf den Knien. Erst, als er sich erhob, stand man auf.
    Alena schlüpfte als erste durch die Tür. Wo war der schlafende Wächter? Die Häuserwand nackt, leer. Warum hatte er den fehlenden Riegel nicht bemerkt? Von einer dumpfen Vorahnung gehetzt, huschte sie am Rand der Häuser entlang auf den Turm zu. Deutlich konnte sie hinter sich die Schritte der anderen vernehmen, das Scharren und Schaben, das Quietschen der nassen Bohlen, das Reiben der Arme am Körper. Mit zugeschnürtem Hals sah sie über den Häusern die Wälle hinauf. Die Wachposten standen

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