Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
Gold. Schon lange drohen fränkischen Händlern schreckliche Strafen, wenn sie uns die Arbeit fränkischer Schmiede verkaufen. Aber der Schatz sieht in meiner Hand aus wie … wie eine Natter, wie eine Puffotter, wie der brennende Pfeil Perunics. Ich wage es nicht!«
Er stand wieder auf, begann umherzugehen. Die Hose lag wie die leere Hülle eines Menschen auf dem Stuhl. Alena betete in Gedanken. Das Opfer starb im Moor! Mochte Svarožić sie aus den Klauen des Wolfes retten, ihm die Krallen und Zähne brechen. Vielleicht war es noch möglich, auch den Hünen zu bewahren.
»Was hast du gesehen in den Mooren und Wäldern um Zwerin?«
»Luchse, Rehe. Wovon sprichst du?«
»Du täuschst mich nicht?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Schwöre bei eurem dreiköpfigen Gott!«
»Ich schwöre es bei Svarožić, dem Lichtbringer.«
»Die Götter werden mir viele Siege schenken, wenn ich jetzt weise entscheide, ich spüre es. Die Wahl steht zwischen Vorsicht, indem ich dich töte, oder ehrbarem Handeln, indem ich dich leben lasse.« Er hob die Faust zum Mund, schlug sie sachte gegen die Zähne. »Nichts von beidem will mir wirklich schmecken.«
»Vielleicht würde Radigast dich belohnen, wenn du –«
»Schweig!« Er kniff die Augen zusammen. Rieb sich die Stirn. »Es ist, es ist …«
Unter innigem Flehen zu Svarožić hielt sie den Atem an.
»Ich werde dir die Freiheit geben. Sag deinem Vater, meine Schuld ist hiermit beglichen.«
»Welche Schuld?«
»Er hat mir vor langer Zeit einmal dreißig eiserne Schüsseln überlassen, eine ganze Karrenladung bestes böhmisches Eisen, damit ich einen Mann überfiel und verschwinden ließ. Aber meine Männer verloren ihn im Kampf an seine Anhänger.«
»Und du hast Vater die Schüsseln bis heute nicht wiedergegeben? Also hast du dein Wort gebrochen?«
»Es ist abgegolten, indem ich dich ziehen lasse.«
»Nein. Gib mir auch die Franken. Sie müssen in Rethra sterben.«
»Du forderst?«
»Ich bitte.«
»Gut, es sei, Nevopors Tochter.«
16. Kapitel
Aus Achtung vor dem Alter hatte man Uvelan die Hose belassen. Die Franken standen mit entblößter Männlichkeit auf dem Knüppeldamm, ächzten Gebete. Weiße Dämpfe schwebten über dem Moor. Blasen platzten: Satter, schwerer Verwesungsgeruch. Die Sterne prangten wie ein unbestechliches Gericht am Himmel. Dort die Kleider am Boden: Ein Haufen leerer Hüllen, das, was als Zeugnis von ihnen übrigbleiben würde, nachdem sich auch über dem letzten Haarschopf das Moor schmatzend geschlossen hatte.
»Du zuerst.« Man stieß Audulf an den Rand des Weges, reckte die Gabelstöcke nach ihm aus. Die Stecken hackten ihn, stachen seinen Rücken. Als er sich umdrehte und zwei Astgabeln umklammerte, lachten die Obodriten. Es war ihnen wohl recht. Wenn er lange genug unter der Oberfläche war, würde sein Griff nachlassen, und sie konnten die Stecken herausziehen, bereit für den nächsten Todgeweihten.
Ein Schrei. Fallen. Gurgelndes Moor, das Audulfs Beine verschlang. Quellende Augen, verzerrter Mund. Das Moor bis zur Brust. Schmatzen. Schlucken. Dann plötzlich Rufe aus der Ferne. Irrlichter auf dem Weg: Fackeln. Die Obodriten unschlüssig. Einer den Stock schiebend, Audulf nach unten drängend: »Weitermachen.« Ein anderer, der ihn hielt. »Warte.« Vier Bewaffnete, die den Fackeln entgegenliefen. Audulf japste nach Luft.
Endlich der erlösende Anblick. Alena bei den Irrlichtern.
Es waren die Kleider von Fremden, die Uvelan und die Franken sich überstreiften. Die Kleider von Toten. Dort imMoor: Waren sie nicht längst untergegangen, hatten zu atmen aufgehört? Audulf stürmte voran, fort von den Obodriten, heraus aus dem Moor, aus dem Grab, das offenstand und nach ihm fragte, das ihn schwarz gezeichnet hatte von den Füßen bis zur Brust.
Hört mich an, hatte sie gerufen. Bitte, laßt ihn los und hört mich an. Und nun rutschten sie mit nach Halt suchenden Füßen über die nassen Knüppel. Dort vorn, Alena, die junge Frau. Und hinten er, Uvelan. Sie zählte zwanzig Sommersonnenwenden. Woher kam ihr Mut? Und warum scherte sie sich um die Franken und um einen alten Mann wie ihn?
Ihr Kleid war blutig. Sicher tat der Rücken weh, auch jetzt noch. Aber sie ging aufrecht, ließ die langen Haare darüberhängen, um die Schande zu verbergen. Schande, die eigentlich Ehre bedeutete.
Wie nur hatte sie es geschafft, den Obodritenfürsten das Todesurteil widerrufen zu lassen? Unvermittelt ein Schleichen in seinem Kopf, ein zarter
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