Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
versuchen.
Am besten war es, wenn sie aufrecht über den Hof ging, möglichst lautlos, damit die Wachen sich nicht umdrehten, aber doch aufgerichtet, so daß sie keinen Verdacht schöpften, wenn sie aus einer Laune heraus in den Innenhof sahen oder Alena versehentlich ein Geräusch verursachte. Sie stand auf. In diesem Augenblick bemerkte sie den Körper, der neben der geheimnisvollen Tür lehnte.
Ein Posten.
Das Gesicht lag im Schatten. Starrte er zurück? War da nicht eine Bewegung, löste er sich von der Wand, um einen Speer auf sie richten? Wie die Hufe am Tage auf den Holzplanken gedröhnt hatten, so polterte es jetzt in Alenas Ohren. Sie wischte die Handflächen am Kleid ab. Getrockneter Schlamm bröckelte herab.
Der Posten regte sich nicht.
Ohne einen Laut bewegte sie die Lippen: »Denke an meinen Schwur, Svarožić. Wenn du die Augen der Wachen verschließt und undurchdringliche Stille über sie senkst, wenn du mich rettest, dann will ich dir meinen erstgeborenen Sohn zum Priester geben oder mit meiner Tochter für dich arbeiten, bis ich sterbe. O bitte, Lichtbringer, ich bin ein schwaches Weib, aber du bist mächtig, denke nun an mich!« Damit lief sie los. Sie machte kleine Schritte und rollte sorgfältig Ferse und Fußspitze ab, ohne über den Boden zu schaben. Kaum wagte sie es zu atmen, bis sie vor der schmalen Tür angelangt war.
Sie drehte sich um. Da war ein Wachposten auf dem Wall über dem Stalldach, aber er hatte sie nicht bemerkt, sah ruhig über die Palisaden hinweg. Vor ihr der Mannskörper imSchatten. Sie brauchte nur die Hand ausstrecken, und würde ihn berühren. Ruhig hob sich der fremde Brustkorb, senkte sich, wuchs erneut an. Schlaf! befahl sie ihm in Gedanken.
In diesem Augenblick fuhr ihr ein Schauer wie eine kalte Hand über den Rücken, um sie schließlich im Genick zu packen und zu schütteln. Gestern der Hof voll von Kriegern, und heute ein Wachposten, ein einziger schlafender Mann, der die Gefangenen bewachte? Alena hielt die Luft an und kniff die Augen zusammen. Etwas war faul an der Sache. Der Schlafende neben ihr war nicht in Ordnung. Statt seiner sollten vier aufmerksame Bewaffnete vor der Tür wachen. Jeder Instinkt riet ihr, fortzulaufen. Statt dessen faßte sie den Riegel mit beiden Händen und hob ihn aus den Haken. Wie schwer er wog! Alena klemmte vor Anstrengung die Lippen zwischen die Zähne. Als sie den Riegel auf den Boden senkte und ihre Finger darunter hervorzog, setzte er dumpf auf den nassen Bohlen auf. Sie erstarrte, wagte es nicht, sich zu bewegen. Sprang der Posten auf? Er atmete unverändert. Kam ein Ruf von den Wachen? Hallten Schritte von einer der Treppen, die vom Wall in den Burghof führten? Der Rücken begann ihr zu schmerzen in dieser vorgebeugten Haltung, aber sie wartete, lauschte. Nichts. Man mußte sie gehört haben! Die Stille war nicht gut.
Angespannt, daß sie zu zerreißen drohte, schob sie sich in den dunklen Raum und schloß mit unendlicher Langsamkeit die Tür hinter sich.
»Embricho?« wisperte sie und spähte ins Schwarz. War der Raum eine Falle, und es rauschte jeden Augenblick ein Knüppel auf sie nieder?
Jemand war hier. Sie spürte es. »Embricho? Tietgaud?«
Ein warmer Lufthauch an ihrem Hals. Das Geräusch von Stoff, der an Stoff entlangschabt. Dann, dicht vor ihrem Ohr, eine Flüsterstimme: »Wer bist du?«
»Ich bin es, Alena.«
Entsetztes Schweigen. »Alena? Was macht Ihr hier? Seid Ihr des Wahnsinns?«
»Seid Ihr es, Embricho? Ich bin gekommen, Euch alle zu befreien«, hauchte sie.
»Wißt Ihr einen Weg aus der Burg?«
Sie zögerte. »Nein. Eine Imkerin hat mich hereingebracht. Wie wir hinauskommen, weiß ich nicht.«
»Wir haben keine Waffen«, raunte eine Stimme, die sich nach Brun anhörte. »Freikämpfen können wir uns nicht.«
Beinahe wäre Alena vorgesprungen, um ihm die Hand vor den Mund zu halten. Aber sie konnte nicht erkennen, wo genau er stand.«Bitte sprecht leise, Brun. Neben der Tür döst ein Posten. Ein Blick genügt, und er bemerkt, daß der Riegel nicht in den Haken liegt.«
»Entschuldigt.« Er sprach keine Winzigkeit leiser.
»Was Waffen angeht, denkt an die Schmiedewerkstatt. Dort hängen Sensenblätter und die Spitzen von Fischspießen, die könnten wir als Dolche verwenden. Und mein Messer habe ich bei mir.«
Embricho pfiff leise durch die Zähne. »Eine Schmiedewerkstatt? Wunderbar. Ich wußte nicht, daß es hier so etwas gibt. Wir sind mit verbundenen Augen in diese Kammer geführt
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