Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
ruhig, schienen nichts zu bemerken.
Alena blieb stehen. Hinter ihr verstummten die Schritte. Fehlten da nicht Wachen? Nur noch zwei konnte sie erkennen. Waren sie alle auf die andere Seite gewechselt, die sie gerade nicht sehen konnte? Hatte es einen Wachwechsel gegeben, und in dieser Nachtzeit hielten weniger Posten Ausschau?
Sie spürte eine Bewegung in ihrem Bauch, als hätte sie eine dicke Kröte verschluckt. Langsam schlich sie, musterte furchtsam die Dunkelheit dort, wo unter dem Turm der Torweg begann.
Plötzlich glomm Licht an der Hofseite des Turmes auf. Es war der Widerschein von Feuer, von einer Flamme, die hinter ihnen leuchten mußte, denn sie warf die Schatten der Fliehenden an die Turmwand. Alena drehte sich herum, mit ihr all die anderen. Am Herrenhaus hielt jemand eine Fackel in die Höhe. »Lauft!« rief Alena und warf sich in Richtung Tor. Warum schrie der Mann nicht um Hilfe? Warum war es so eigentümlich still im Hof? Die Wachen auf den Wällen mußten ihren Ruf gehört haben.
Speerspitzen aus dem Schatten unter dem Turm, hinter ihnen Obodriten mit finster zusammengekniffenen Augen. Fackeln. Der Hof mit einemmal hell erleuchtet. Spieße und Speere, die die Geflohenen einkreisten. Der Mann vom Herrenhaus: klein, dickleibig; vollständig angekleidet und gerüstet. Feuerscheinblitzen auf seinem Eisenhemd. »Ihr wollt die Burg verlassen? Das enttäuscht mich.« Kehlig quakte seine Stimme, sie erinnerte an Frösche in heißen Sommernächten. Die fränkischen Wörter formte er ungeübt, als benutze er ein fremdes Werkzeug. »Ich dachte mir, daß der Alte zurückkehrt. Eine Frau habt Ihr Euch zur Unterstützung geholt?« Er lachte knapp; nicht mehr als ein kurzes Bellen. »Und Ihr denkt allen Ernstes, ein Greis und eine Frau können in Zwerin eindringen und gegen meinen Willen meine Gäste entlassen?«
»Gäste? Daß ich nicht lache!« Tietgaud schrie so laut, daß seine Stimme von den Häusern und den Palisaden widerhallte.»Ihr wollt ein Mann sein, der Gäste empfangen kann? Niemand würde aus freiem Willen zu Euch kommen in diese Grotte von einer Burg! Ein Herr wollt Ihr sein, ja?« Er schleuderte seinen Arm in Richtung des Herrenhauses. »Und das soll das Haus eines Burgherrn sein? Diese Scheune, dieser Holzschuppen! In einer fränkischen Königspfalz würde –« Er stockte. Ein fränkischer Reisealtar. Die schwarze Kiste vor dem Herrenhaus schluckte das Fackellicht wie ein Loch. Sie mußten einen hohen Geistlichen überfallen haben! Der Hieb eines Schwertknaufs brachte Tietgauds Gedanken zum Verstummen und ließ den Mönch zu Boden sacken.
»Es wird Zeit, daß sie vom Erdboden verschwinden.« Der Dickleibige leuchtete Tietgaud ins Gesicht. »Schafft die Gabelstöcke heran, und dann fort mit den Schnüfflern ins Moor.«
»Wie lautet dein Name?« fragte der Alte. Er bediente sich der slawischen Sprache. Den obodritischen Dialekt formte er ebenso makellos, wie er den polabischen gesprochen hatte. Da stand er, die zusammengewachsenen Augenbrauen, die schräg zur Seite gebogene Nase, die Runzeln, die von den Augen wie Strahlen zu den Ohren führten. Er hatte sehr ruhig gesprochen. Als müßte er nicht um sein Leben fürchten.
Erstaunt sah ihn der Dickleibige an, leuchtete zu ihm hin, um ihn sich zu besehen. »Du sprichst mit Würde, Alter. Ich bin Javor, Herr über Zwerin und das umliegende Land. Wer bist du, und warum hast du dich erniedrigt, die fränkischen Kundschafter zu führen?«
»Ich führe, wen ich will.«
Die Männer maßen sich mit den Augen. Das Erstaunen in Javors Gesicht wich einem kalten Ausdruck, und die rechte Wange des Obodritenfürsten zuckte.
»Javor, weißt du nicht, daß dein Gott Radigast das Berauben von Gästen nicht gutheißt? Es wird ihn erzürnen, wenn du den Franken die Waffen nimmst und sie tötest.«
Der Arm Javors schnellte vor. Er packte den Alten an der Kehle. »Du wagst es, für die Götter zu sprechen?«
Ruhig hingen die Arme des Alten herab. Er machte keinen Versuch, sich aus dem Griff des Fürsten zu befreien. Während ihm Wasser in die Augen stieg und sich sein Gesicht verfärbte, sah er Javor fest ins Gesicht, als hielte er ihn gepackt und nicht umgekehrt.
»Hört mich an!« flehte Alena. »Bitte, laßt ihn los und hört mich an.«
Verwirrung trat in das Gesicht des Fürsten. Er löste seine Hand vom Hals des Alten, glättete ihm den Kragensaum, als wollte er sich entschuldigen. »Schafft sie ins Moor. Was das Weib angeht: Gebt ihr zwanzig Hiebe
Weitere Kostenlose Bücher