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Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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heiseren
Ätsch
auf und entfernten sich in sehr schnellem, kantigem Flug. Zwei Schnepfen strittensich um einen Wurm. Immer wieder pickte die eine der anderen das sich windende Tier aus dem Schnabel, und es wurde kürzer und kürzer, bis einer der Vögel es ganz verschluckte.
    Am Seeufer brachten Waldwasserläufer ihre weißen Bäuche in Sicherheit. Sie waren dünner als ihre Pfützengefährten, und der Schnabel etwas kürzer. Manche begnügten sich mit Davonlaufen; so schnell bewegten sich die Beine, daß kaum das Auge folgen konnte. Andere flatterten mit einem ängstlichen
Djü-titititit
davon.
    »Deine Kleidung beult sich dort am Gürtel. Trägst du Münzen mit dir?«
    »Ja.«
    »Darf ich sie sehen?«
    »Nein.«
    Es duftete nach Pilzen, und gleichzeitig lag ein süßer Geruch in der Luft wie von Blüten. Er erregte Übelkeit.
    Alena drückte sich den Handrücken gegen die Nase. »Was hältst du von dem Alten?«
    »Er redet wirr, aber wenn er sich wirklich so gut auskennt, nützt er uns eine Menge.«
    »Warte einmal.« Sie faßte den Arm des Hünen.
    Embricho blieb stehen, richtete das Zimbelkrautblau seiner Augen auf sie.
    »Ich muß dir etwas sagen. Wirst du darüber nachdenken, auch wenn es dir fremd ist?«
    Er nickte, aber dabei verzog er ungeduldig den Mund.
    »Der Alte ist gefährlich.«
    »Warum glaubst du das?«
    »Zuerst meinte ich, er sei ein Geist. Einer, den wir den Waldherrscher nennen, weil er immer dann auftaucht, wenn Menschen den Wald durch laute Geräusche entehren oder mutwillig seine Geschöpfe verletzen.«
    »Wenn es ein Dämon wäre, Alena, dann würde er sich vor Tietgaud fürchten und vor dem Kreuz, das um seinen Hals hängt.«
    »Ich denke nicht mehr, daß er ein Geist sein könnte. Aber unheimlich ist er mir. Hat es dich nicht gewundert, wie er in eurer Kammer einfach so aus dem Boden wachsen konnte? Wir müssen vorsichtig sein.«
    »Er ist nicht aus dem Boden gewachsen. Wir hatten ihn unter den Bohlen versteckt in einem Loch.«
    Alena runzelte die Stirn. »Die Krallen an den Händen, das von Rinnen übersäte Gesicht, die Haare! Das ist kein gewöhnlicher Mensch.«
    »Vielleicht ist er ein Ausgestoßener.«
    »Und sein Wissen über den Wald? Seine Sprachenkenntnis? Er hat mit den Polaben den polabischen Dialekt, mit den Obodriten den obodritischen, und mit mir den der Redarier gesprochen, jedes Wort so, wie wir es zu reden gewohnt sind. Und wenn das alles wäre! Wieso sollte ein Ausgestoßener das Fränkische beherrschen?«
    »Nun, wieso beherrschst du es?«
    »Mein Vater hat es mir beigebracht.«
    »Und ihm sein Vater.«
    Alena zögerte. Konnte sie Embricho erklären, daß im ganzen Redarierstamm nur eine Handvoll Menschen die fränkische Sprache kannten? Dann würde er Fragen stellen, die sie nicht beantworten, an die sie nicht einmal im stillen mehr denken mochte. »Mag sein, daß ich mich täusche.«
    »Komm, ich habe Hunger.«
    Sie gingen am Ufer entlang, sehr langsam, die Augen auf den Boden am Waldrand gerichtet. Wieder und wieder platschte es: Schildkröten, die sie gehört, gerochen, ihre Schritte gespürt hatten und sich in Sicherheit brachten. Dann sahen sie einen gelbgesprenkelten Panzer auf einem Stein zu ihrer Linken, eine Schildkröte, der nun der Weg zum Wasser abgeschnitten war.
    »Gib mir dein Messer«, flüsterte Embricho.
    Vorsichtig zog Alena die Klinge aus der Scheide. »Aber sie hat den Kopf draußen. Verstecken sie ihn nicht zum Schlafen?«
    »Nicht immer.« Das Messer in der Hand, schlich sich der Hüne von hinten an das Tier heran. Kein Schatten fiel auf es nieder, und geräuschlos, dicht dem Panzer folgend, näherte Embricho sich mit der Klinge seinem Kopf. Ein Schnitt. Blut floß den Stein herunter, und ein dunkles Stück Fleisch mit gelben Augen purzelte herunter.
    Alena stöhnte leise. »Ich glaube, ich kann das nicht sehen.«
    »Ich bin freundlich zu ihr gewesen«, sagte Embricho. »Die armen Leute bei uns schneiden ihnen bei lebendigem Leibe den Panzer auf.«
    Ein Schütteln ergriff Alena. Sie sog zischend Luft zwischen den Zähnen ein und schloß die Augen. »Einen Hahn habe ich getötet vor drei Wochen. Es war furchtbar. Und bei den Schildkröten erscheint es mir noch mehr wie Frevel, weil sie nicht schreien. Sie haben das nicht verdient.«
    »Niemand hat den Tod verdient.«
    Es verschlug ihr die Sprache. Flüsterten ihm die Geister ein, daß er als Menschenopfer erwählt war? »In manchen Fällen«, murmelte sie, »ist es besser, es stirbt ein Tier oder

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