Die Principessa
angesetzt, sie würde also rechtzeitig dort eintreffen. Oder sollte sie zur Kirche Santa Maria della Vittoria fahren? Die Köchin hatte ihr erzählt, Bernini habe dort eine Figur von unerhörtem Liebreiz aufgestellt – angeblich das schönste Werk, das der Cavaliere je erschaffen habe. Bei den Hinrichtungen sei jedenfalls von nichts anderem die Rede gewesen.
»Ich brenne wirklich darauf, sie zu sehen«, sagte sie zu Clarissa, die über eine Petit-point-Stickerei gebeugt am Kamin saß. »Würdest du mich begleiten?«
»Eine Figur von Bernini?«, fragte ihre Cousine, ohne von der Arbeit aufzuschauen. »Nein, ich glaube nicht, dass mich das interessiert. Mir steht nicht der Sinn nach Kunstwerken.«
»Merkwürdig, früher konntest du gar nicht genug davon bekommen. Und jetzt, da die Kunst dir einmal hilfreich sein könnte, willst du nichts von ihr wissen. Komm mit mir, das wird dich zerstreuen! Du darfst dich nicht in deinem Kummer vergraben!«
»Ich weiß, dass du es gut meinst, Olimpia, aber wenn es dir recht ist, würde ich lieber den Angelus beten.« Sie legte ihre Stickerei beiseite und stand auf, um das Zimmer zu verlassen.
»Wohin willst du?«, fragte Olimpia. »Es ist doch noch viel zu früh für das Gebet!«
»Ich habe mir in den Finger gestochen«, sagte Clarissa, »und es hört nicht auf zu bluten.«
Da ihre Cousine sich weigerte, sie zu begleiten, entschloss sich Donna Olimpia, doch zum Corso zu fahren. Wenn sie ihre Probleme nicht vergessen konnte, wollte sie sie lösen, und dazu bot sich dort vielleicht Gelegenheit. In der Ehrenloge würde sie mit Sicherheit Kardinal Barberini treffen, der unlängst aus dem französischen Exil zurückgekehrt war. Es war höchste Zeit, dassseine und ihre Familie sich wieder versöhnten. Wenn Camillo weiter die Nächte im Haus der Fürstin Rossano verbrachte, würde sie die Unterstützung der Barberini womöglich schneller brauchen als ihr lieb war.
Obwohl die Straßen voller Menschen waren, kam Donna Olimpias Kutsche zügig voran. Eine Kavalkade von zwanzig Reitern begleitete die Equipage mit dem päpstlichen Wappen auf dem Schlag, sodass die Passanten ganz von allein Platz machten, wo immer das Gefährt erschien. Erst in die Nähe des Corso verlangsamte der Wagen die Fahrt und musste immer wieder anhalten. Dann aber, sie hatten sich der Ehrenloge bereits auf Sichtweite genähert, musste der Kutscher die Pferde endgültig durchparieren.
Auf der Straße tobte eine regelrechte Schlacht. Angefeuert von Kindern und Frauen, fielen dutzende von Männern übereinander her. Donna Olimpia wusste, so etwas konnte eine Weile dauern. Sie nahm ihren Rosenkranz, um sich die Zeit mit ein paar »Ave Maria« zu verkürzen. Wahrscheinlich hatte es mal wieder jemand versäumt, vor einem Höherstehenden seine Karosse anzuhalten und die Ehrenbezeugung zu machen; darüber kam es fast täglich zu Streitereien auf Roms Straßen – sogar der Krieg gegen Castro hatte in einem solchen Ehrenhandel seinen Anfang genommen.
Als die Kutsche nach einer Viertelstunde immer noch nicht vom Fleck kam, wurde Donna Olimpia ungeduldig.
Sie beugte sich aus dem Fenster und rief: »Warum geht es nicht weiter? Was ist denn da los?«
»Vergebung Eccellenza«, rief der Kutscher zurück. »Man hat Cecca Buffona auf dem Corso erwischt, noch dazu mit einer Maske. Und jetzt verprügeln sich ihre Verehrer gegenseitig.«
Donna Olimpia zerrte verärgert an dem Rosenkranz, dessen scharf gezacktes Kreuz sich irgendwo verfangen hatte. Cecca Buffona war eine stadtbekannte Kurtisane, die – wie Camillo ihr berichtet hatte – seit ein paar Wochen Kardinal Barberini zu Willen war. Wenn man sie gerade auf offener Straße verhaftethatte, weil den Kurtisanen das Tragen von Masken sowie das Betreten des Corso zur Zeit des Karnevals verboten war, würde der verliebte Greis bestimmt äußerst missgelaunt sein. Donna Olimpia überlegte, was sie tun solle. Konnte es ihren Zwecken dienen, dem Oberhaupt der Barberini unter diesen Umständen zu begegnen?
Sie beugte sich ein zweites Mal aus dem Fenster und rief: »Zur Kirche Santa Maria della Vittoria!«
Das kleine Gotteshaus an der Straße zur Porta Pia bordete über von Menschen, die gekommen waren, um die neueste Skulptur des berühmten Bernini zu bestaunen. Die meisten waren kostümiert: falsche Doktoren und Advokaten, chinesische Mandarine und spanische Granden, arabische Kalifen und indische Maharadschas. Andächtig wie zum Gebet hielten sie ihre Masken und
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