Die Principessa
Karneval, alljährliches Vorspiel zur Fastenzeit, die dem Fest der Wiederauferstehung so unweigerlich vorangeht wie das Leben dem Tod.
Ohne den Mummenschanz vor seinen Augen wahrzunehmen, lief Francesco Borromini durch die Gassen und Straßen, berauscht allein von den Empfindungen in seinem Innern. Ja, es gab sie doch, die reine, ungetrübte Freude, das Glück, von dem sonst nur die anderen sprachen, das er selbst aber bislang nur vom Hörensagen kannte, das Glück, in dem der Augenblick die Ewigkeit bedeutete, und er hatte daran teil. Er versuchte sich an die Namen der Menschen zu erinnern, die er um ihr Glück beneidet hatte, doch es fiel ihm keiner ein, den er für glücklicher hätte halten können als sich. Die Principessa hatteihm die Augen geöffnet. Jupiter strahlte heller als Saturn! Wie Recht sie damit hatte!
Auf einmal hatte er das Gefühl, alle Menschen, die ihm begegneten, zu lieben, obwohl er sie nicht kannte, und er fragte sich, wie er vor diesem Abend gelebt hatte. Hatte er überhaupt gelebt? Sein ganzes Wesen war durch die Worte, die er mit der Principessa getauscht hatte, von solcher Seligkeit erfüllt, dass er unmöglich nach Hause gehen konnte. Seine Behausung war viel zu klein für sein Glück. Er blieb stehen und sah sich um. Eine johlende Horde Dominos riss einem Jüngling die Maske vom Kopf, hinter der ein blasses, zerfurchtes Greisengesicht zum Vorschein kam. Mit zahnlosem Mund geiferte der Alte seine Peiniger an.
Francesco wandte sich ab. Welchen Weg sollte er wählen? Die Gassen, die in die Richtung des Tibers führten, quollen über vor Menschen. Er beschloss, einen Umweg zu machen, und schlug die Richtung zum Quirinal ein. Das Lachen und Schreien der Menge in den Ohren, eilte er davon. Er wollte allein sein mit seinen beglückenden Gedanken.
Sie hatte ihn ihren Freund genannt, ihren
lieben
Freund. Was für eine unerhörte Auszeichnung – vielleicht die höchste, die sie zu vergeben hatte. Welche Botschaft verbarg sich darin? Dass sie ihn liebte? Er hatte den Gedanken kaum gedacht, als er ihn sich schon verbat. Die Principessa hatte gerade erst ihren Mann verloren! Wenn sie ihm nun, trotz ihrer Trauer, ihre Freundschaft schenkte, war das tausendmal mehr als er erwarten durfte, und er war ihr dafür so dankbar, dass sein Hoffen und Sehnen keiner weiteren Nahrung bedurfte. Er würde sich für immer mit ihrer Freundschaft begnügen. Ja, vielleicht war die Freundschaft ihre eigentliche Bestimmung, weil sie in ihren Herzen einander so nahe waren, dass sich jeder körperliche Ausdruck ihrer Seelenverwandtschaft verbot.
Aber waren das wirklich seine Gefühle? Woher dann die quälende Eifersucht, die alles in ihm hervorrief, was je ihren Blick, ihre Aufmerksamkeit auf sich zog? Die kleinen, schmerzlichen Stiche, wenn sie etwas bemerkte, bewunderte, verlangte? Wiesehr hatte er, ohne es sich einzugestehen, darunter gelitten, viele lange Jahre. Er war eifersüchtig auf alle Menschen gewesen, die an seiner Stelle ihre Gegenwart genossen, auf die Dinge, die sie mit ihren Händen berührte und hielt, ja sogar auf die Räume, in denen sie sich bewegte, und die Stunden, die sie ohne ihn verbrachte.
Nein, es war mehr als Freundschaft, was er für sie empfand, und vielleicht würde auch sie eines Tages noch mehr als Freundschaft für ihn empfinden. Wie hatte sie gestrahlt, als er ihr seinen Entwurf für den Brunnen erläuterte, und wie würde sie erst strahlen, wenn er ihr einst die Anlage der ganzen Piazza erklärte, wie sie ihm heute schon vorschwebte. Niemand außer ihm ahnte ja, was für eine wunderbare Frau sie war, keiner hatte so tief in ihr Herz geschaut wie er. Sollte ihn das Traumbild, das ihm in dem verschneiten Bergdorf seiner Heimat in der Nacht seiner Mannwerdung erschienen war, doch nicht betrogen haben?
An der Straße zur Porta Pia, vor einer kleinen, unscheinbaren Kirche, blieb er stehen. Er war fast allein auf der Straße, nur wenige Maskierte hatten sich hierher verirrt. Umso mehr überraschte ihn das rege Treiben im Eingang der Kirche, wo sich Arbeiter zu schaffen machten. Am Rosenmontag? Zu so später Stunde? Ohne zu überlegen, was er tat, betrat Francesco das Gotteshaus.
Er brauchte ein paar Sekunden, bis seine Augen sich an das schwache Kerzenlicht im Innern der Kirche gewöhnt hatten. An der Wand einer Seitenkapelle zur Linken blinkten Lichtreflexe vom Glanz polierten Marmors. Francesco erkannte die Schemen einer Loge, über deren Brüstung sich steinerne Zuschauer
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