Die Principessa
bevor. Und während die Priester mit der geweihten Asche von den Palmzweigen des alten Jahres den Gläubigen das Kreuzzeichen auf die Stirn machten, erinnerten die Menschen sich daran, dass sie Staub waren und zum Staube zurückkehren würden.
Auch Clarissa hatte am frühen Morgen die Messe besucht, doch das Aschenkreuz auf ihrer Stirn vermochte nicht die dräuende Unruhe von ihr zu nehmen, die sich ihrer seit dem Vortag bemächtigthatte. Das Stickzeug auf dem Schoß, war sie unfähig, sich auf die filigrane Arbeit zu konzentrieren. Immer wieder stellte sie sich eine Frage, die sie wie ein Quälgeist verfolgte: Was hatte es mit Berninis Figur auf sich, von der die ganze Stadt sprach? Es hieß, es handle sich um eine Darstellung der heiligen Theresa. Sollte er wirklich so schamlos sein, ihr Bildnis zu benutzen, um von sich reden zu machen? Nach allem, was zwischen ihnen vorgefallen war?
Warum fragte sie nicht einfach Olimpia nach der Skulptur? Clarissa wusste es selbst nicht, aber eine angstvolle Ahnung hielt sie ab, mit ihrer Cousine, die sie seit dem gestrigen Morgen nicht mehr gesehen hatte, darüber zu sprechen. Obwohl ihr niemand einen Vorwurf daraus machen konnte, für die Figur einer Heiligen Modell gesessen zu haben, erfüllte die Vorstellung, dass Olimpia und andere Menschen ihr Bildnis sehen konnten, sie mit tiefem Widerwillen. Um auf andere Gedanken zu kommen, nahm sie wieder ihre Stickarbeit auf. Ach, vielleicht war es ja nur der leere Magen, der sie quälte. Nach der Völlerei der letzten Tage wäre es kein Wunder, wenn ihr das plötzliche Fasten nicht bekam.
»Principessa, Sie haben Besuch.«
Clarissa blickte auf. Besuch? Das konnte nur einer sein – was für eine glückliche Fügung! Hatte ihr Freund geahnt, dass sie jemanden brauchte?
»Bitte führe ihn herein!«, sagte sie erfreut und stand auf.
Doch zu ihrer Verblüffung trat nicht Borromini in den Raum, sondern Bernini, gefolgt von einem Diener, der einen riesigen Pflanzenkübel vor sich hertrug. Unwillkürlich machte Clarissa einen Schritt zurück – es war das erste Mal seit jener Nacht, dass sie sich wieder sahen.
»Cavaliere«, stammelte sie. »Ich … ich hatte nicht mit Ihnen gerechnet …«
Den Kopf schräg geneigt, die Arme ausgebreitet, kam Lorenzo auf sie zu, das Gesicht voller Wehmut und Schmerz.
»Ich wollte Ihnen schon lange meine Aufwartung machen«,sagte er, »aber ich wusste nicht, wie ich mich Ihnen erklären sollte. Bitte nehmen Sie dieses Geschenk als ein Zeichen.« Mit einer Geste wies er seinen Diener an, den Kübel abzustellen. »Eine Engelstrompete«, erklärte er, als er ihren verständnislosen Blick auf den Pflanzenstumpf sah, dessen blattlose Äste wie verdorrt aus der Erde ragten. »Ihre Blüten blühen nur eine Nacht, Sinnbild vollkommener Schönheit – und zugleich der Vergänglichkeit menschlichen Glücks.«
»Wie freundlich von dir, dass du dich um meinen Gast kümmerst, Clarissa!«
Donna Olimpia stand in der Tür und musterte sie mit einem scharfen Blick.
»
Deinen
Gast?«, fragte Clarissa verwirrt.
»Ja, ich habe den Cavaliere rufen lassen. Wir haben wichtige Dinge zu besprechen.«
Während Olimpia zu ihnen trat, sah Clarissa Lorenzo fragend an. Als er ihrem Blick auswich, begriff sie. Sie war nicht der Grund seines Kommens, zumindest nicht der Hauptgrund.
»Nun, dann will ich die Unterredung nicht stören.«
»Aber nicht doch, mein Kind!«, widersprach ihr ihre Cousine und nahm sie fest an der Hand. »Was soll der Cavaliere denken, wenn du gehst? Er wird am Ende noch beleidigt sein. Nicht wahr, Signor Bernini?«
»Allerdings, Eccellenza«, stotterte er. »Sie … Sie sprechen mir aus der Seele.«
»Siehst du?«, sagte Donna Olimpia, und in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete, fügte sie hinzu: »Du bleibst!«
Erst jetzt ließ sie Clarissas Hand los. Die Diener verschwanden, und Donna Olimpia führte ihren Gast in die Mitte des Raums, wo sie an einem Tisch Platz nahmen. Clarissa zögerte. Sollte sie sich zu ihnen setzen? Sie war so durcheinander, dass sie keinen klaren Gedanken fassen konnte. Instinktiv kehrte sie zu ihrem Stuhl am Kamin zurück, wo sie, um irgendetwas zu tun, wieder zu ihrer Stickerei griff. Was hatte das merkwürdige Geschenk zu bedeuten? Blüten, die nur eine Nacht lang blühten … IhreHände zitterten so sehr, dass gar nicht daran zu denken war, die Arbeit fortzusetzen.
Während sie so tat, als würde sie das Stickmuster berechnen, hörte sie ihre Cousine sagen:
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