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Die Principessa

Die Principessa

Titel: Die Principessa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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zählt jedes Kunstwerk hundertmal mehr als sein Schöpfer.«
    »Was für ein Gedanke, Signor Borromini! Darf man so viel von einem Menschen verlangen? Dass er sich ganz und gar in den Dienst seines Werkes stellt?«
    »Ein Künstler hat keine andere Wahl – er muss es tun!«, rief er.
    »Wie sonst kann Jupiter größer und heller am Himmel strahlen als Saturn? Oder glauben Sie, die Sterne lügen und alles ist nur ein Zufall?«
    Er redete mit solcher Leidenschaft, dass sie ihm nicht widersprechen mochte. »Ich will darüber nachdenken«, sagte sie nur.
    »Ach, übrigens«, fiel ihr plötzlich ein, »ich habe von Donna Olimpia erfahren, dass Sie den Brunnen draußen auf der Piazza bauen werden. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr mich das für Sie freut. Haben Sie schon eine Vorstellung, wie er aussehen soll?«
    »Einen fertigen Plan noch nicht«, antwortete er, »aber doch schon eine Idee.«
    »Oh, dann müssen Sie sie mir verraten!«
    »Meinen Sie? Es ist nur ein erster Einfall.«
    »Bitte, tun Sie mir den Gefallen!« Sie führte ihn zu einem Tisch, auf dem ein Bogen Papier lag, und reichte ihm einen Silberstift. »Nur eine Skizze. Sie würden mir eine große Freude machen.«
    Zögernd nahm er den Stift aus ihrer Hand, doch kaum hatte er die ersten Striche auf das Papier gebracht, legte er alle Schüchternheit ab. Ruhig und konzentriert zeichnete er seinen Brunnen, erklärte die Bedeutung des Obelisken und wie dieser sich zu den Darstellungen der vier Weltströme verhielt, mit warmer und doch selbstsicherer Stimme, als würde er in ihrer Gegenwart bei der Erläuterung seiner Idee, die vor ihren Augen immer deutlicher Gestalt annahm, erst zu sich selber finden. Plötzlichunterbrach er seine Arbeit und schaute sie an, mit leuchtenden, dunklen Augen.
    »Darf ich Ihnen ein Geschenk machen, Principessa?«
    »Ein Geschenk?«, fragte sie verwundert zurück.
    »Ich möchte Ihnen den Brunnen mit dieser Zeichnung widmen.«
    »Aber«, rief sie, »das ist doch das Wertvollste, was Sie verschenken können!«
    »Eben darum. Bitte – zur Erinnerung an diese Stunde.«
    Er sagte das so einfach und selbstverständlich, dass sie sich nicht länger sträuben mochte und die Zeichnung annahm.
    »Gerne, Signor Borromini. Und glauben Sie mir, ich weiß den Wert Ihres Geschenks zu schätzen.«
    Das Leuchten in seinen Augen wurde zum Strahlen. Sie war so gerührt, dass sie schlucken musste, und eine Woge der Zuneigung erfasste sie, die Empfindung einer natürlichen, ja unbedingten Verbundenheit zu diesem Mann. Sie hatte nie einen Bruder gehabt – hatte sie ihn heute gefunden? Plötzlich fühlte sie sich, als wäre sie endlich wieder zu Hause, obwohl der halbe Kontinent sie von ihrer englischen Heimat trennte. McKinneys Gesicht tauchte vor ihr auf, doch es lag kein Vorwurf darin. Und Clarissa lächelte zum ersten Mal seit vielen, vielen Wochen.
    »Meinen Sie wirklich, Signor Borromini, dass allein die Kunst uns trösten kann?«, fragte sie ihn leise. »Gibt es nicht auch andere Augenblicke, in denen wir uns unserer Seele gewahr werden?«
    »Ich kenne nur die Kunst.« Mit einem Räuspern gab er ihr den Silberstift zurück. »Was könnte uns sonst dazu verhelfen? Die Religion?«
    »Bitte behalten Sie den Stift!«, sagte sie anstelle einer Antwort.
    »Ich möchte Ihnen ebenfalls etwas schenken.«
    Auch er wehrte sich nicht gegen ihr Geschenk. »Danke, Principessa«, sagte er nur und streifte für einen Moment ihre Hand, während er den Stift entgegennahm. »Ich werde alle Entwürfefür den Brunnen mit ihm zeichnen.« Er stand auf und verbeugte sich. Fast sah er glücklich aus. »Aber es ist spät geworden«, sagte er dann. »Ich glaube, ich sollte jetzt gehen.«
    »Sie haben Recht, es ist schon fast neun.« Sie erhob sich gleichfalls und begleitete ihn zur Tür. Dort reichte sie ihm die Hand. »Ich danke Ihnen für Ihren Besuch, mein lieber Freund. Bitte kommen Sie wieder, wann immer Sie den Wunsch dazu verspüren! Sie werden mir stets willkommen sein.«

4
    Draußen tobte die Hölle, als wären tausend Teufel entfesselt. Obwohl Donna Olimpia alles getan hatte, um die Umzüge und Feiern vom Palast der päpstlichen Familie fern zu halten, tranken und sangen und tanzten die Römer zum ohrenbetäubenden Lärm von Straßenkapellen im gespenstischen Licht zahlloser Fackeln auf der Piazza Navona. Unter dem Schutz ihrer Masken entluden die Menschen sich von ihrer im Laufe eines ganzen Jahres aufgestauten Lust und Wut am Dasein. Denn es war

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