Die Principessa
der Mitte vorstellen, und darum die vier Weltströme in allegorischer Darstellung. Was halten Sie davon? Wir wollen beim Essen darüber reden. Ich hoffe, Sie nehmen die Fasten nicht gar so streng …« Von diesem Tag an trafen wieder regelmäßig Obstkörbe im Palazzo Pamphili ein. Doch nicht für Clarissa McKinney, sondern allein für Donna Olimpia, die Herrin des Hauses.
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Die Glocken der Kirchen Roms waren verstummt, Trauergesänge hatten in den schwarz geschmückten Gotteshäusern die Hymnen abgelöst, und während die Marterwoche im Zeichen der Einkehr verging, vergaßen die Römer beinahe die immer noch währende Hungersnot, war die Entbehrung in dieser stillenZeit ja nicht Folge des Mangels, sondern Mittel zur Erlangung ewigen Seelenheils.
Am Karfreitag, den viele auch den Guten Freitag nannten, ruhte ab der Mittagsstunde in der ganzen großen Stadt jedwede Tätigkeit. Die meisten Menschen gingen zur Andacht in eines der zahllosen Gotteshäuser, um vor einem verhüllten Altar niederzuknien und sich reuig an die Brust zu schlagen, oder sie beteten zu Hause und gedachten dort der heiligen Stunde, in der Jesus Christus am Kreuz den Opfertod gestorben war. Nur Francesco Borromini – in der Einsamkeit seines Herzens – war tätig. Er konnte auch an diesem Tag keine Sünde in der Arbeit erkennen, denn seine Arbeit, die Kunst, war die erhabenste und strengste Form des Gottesdienstes, die er kannte.
Mit dunklem Klang schlug in der Stille die Totenglocke von San Giovanni dei Fiorentini an, der Gemeindekirche unweit des kleinen, windschiefen Hauses im Vicolo dell’Agnello. Mit einem Seufzer blickte Francesco von seinem Arbeitstisch auf: Es war die Stunde, in welcher der Vorhang im Alten Tempel zerrissen war, die Todesstunde des Herrn. Er machte das Kreuzzeichen und betete ein Vaterunser, doch während seine Lippen die tausendfach wiederholten Worte formten, blickten seine Augen ruhelos auf den fast leeren Bogen Papier vor ihm auf dem Tisch, und seine Gedanken, die doch in diesem Augenblick dem wahren Golgatha gelten sollten, auf dem Gottes Sohn sein Erlösungswerk vollbracht hatte, galten allein dem unsichtbaren Kalvarienberg in seinem Innern, den er sich nun schon seit so vielen endlosen Minuten vergeblich bemühte zu besiegen.
Nein, für Francesco war dieser Freitag wahrlich kein guter Freitag. Wieder und wieder setzte er den Silberstift an, den die Principessa ihm zum Geschenk gemacht hatte, doch nur um wieder und wieder zu verzagen. Als wären sein Gehirn, seine Erfindungskraft gelähmt, fehlte ihm jede Inspiration, und er klebte an dem glänzenden Einfall, mit dem er so mühelos Papst Innozenz den Auftrag für den Bau des Brunnens abgerungenhatte, ohne auch nur einen Schritt über die ersten Entwürfe hinauszugelangen.
War er plötzlich blind geworden? Wo blieben all die wunderbaren Ideen und Einfälle, die in Gegenwart der Principessa nur so aus ihm hervorgesprudelt waren? Je länger er den weißen Bogen vor sich anstarrte, desto mehr steigerte sich seine Verzweiflung: ein Obelisk, darum vier Figuren, die die Weltströme darstellen sollten – weiter kam er nicht. Alle Formen und Gestalten, die er in seiner Vorstellung sah, glichen Werken, die andere schon früher entworfen und gestaltet hatten. Was ihm fehlte, war der Zugang zu dem Unerforschten, jenem unsichtbaren Etwas, das jede Kunst vom Handwerk unterschied. Er sah nur, was alle Welt sehen konnte, zeichnete, was alle schlechten Architekten an seiner Stelle gezeichnet hätten, mit der beschränkten Korrektheit und Sichtweise eines Pedanten, ohne Sinn für das Besondere und das Geheimnis.
Wütend zerknüllte er das Papier und warf es ins Feuer. Weshalb nur, um Himmels willen, fiel ihm nichts ein? Es musste ihm etwas einfallen! Wenn Innozenz mit dem Forum Pamphili seinen privaten Wohnsitz über sämtliche Kirchenbauten der Stadt erheben wollte, dann konnte er, Francesco Borromini, sich mit diesem Bauwerk über alle Architekten der Stadt Rom erheben. Die Gestaltung der Piazza Navona bot ihm die einzigartige Möglichkeit, seine Vorstellung von einem idealen Platz zu verwirklichen, ohne Rücksicht auf Kosten und Aufwand. Wie sehr hatte er sich darauf gefreut, seine Pläne der Principessa zu zeigen!
Immer wieder sah er ihr Bild vor sich, unablässig, eingeätzt in seine Seele, wie Bernini sie erschaffen hatte. Lorenzo hatte sie gesehen, in ihr Innerstes geschaut, wie kein anderer Mann es je getan hatte. Während Francesco vor seinem inneren Auge ihr
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