Die Principessa
Antlitz aus Marmor wieder und wieder sah, jene Verzückung, in der ein rastloses Verlangen, ein ewig suchendes Begehren für immer seine Erfüllung zu finden schien, spürte er in sich die Ohnmacht, die der Menschensohn in seiner letzten Stunde verspürt haben musste, als er vergeblich nach seinem Vater imHimmel schrie, und sein Herz füllte sich mit Zorn auf den anderen, auf Bernini, auf seinen Rivalen. War Lorenzo nicht endlich am Boden? Vernichtet und ausgelöscht? Nein, selbst jetzt noch, in der Ungnade, in die ihn Gottes Stellvertreter gestoßen hatte, besaß er die Größe und die Kraft, ihm die Frau zu nehmen, die das Schicksal doch für ihn, Francesco Borromini, vorgesehen hatte. Und immer mehr schwoll sein Zorn an, ohne dass er wusste, ob dieser Zorn heilig war oder blind oder beides zugleich, doch ahnte er, dass es jener Zorn war, in dem Menschen einander erschlagen.
Francesco warf den Silberstift hin, so plötzlich, als hätte er sich daran die Hand verbrannt. Keine Sekunde länger konnte er diesen Zustand ertragen! Er stand auf und beschloss, zum Lateran zu gehen. Dort gab es mehr als genug zu tun, weiß Gott, in nur zwei Jahren musste die Kirche umgebaut sein. In der Hoffnung, Monsignore Spada in San Giovanni anzutreffen, zog er einen Mantel über und eilte die enge Stiege hinab. Er musste ein ernstes Wort mit dem Probst reden. Es ging nicht länger an, dass dieser, wie er sich in letzter Zeit angewöhnt hatte, den Handwerkern Anweisungen gab – so etwas untergrub den Respekt der Arbeiter vor dem Architekten. Außerdem wurde es höchste Zeit, dass Innozenz die Baustelle persönlich besichtigte. San Giovanni war schließlich die Bischofskirche des Papstes! Daran sollte Spada den Heiligen Vater erinnern, statt ihm bei seinen Leuten ins Gehege zu kommen!
Als Francesco ins Freie trat, senkte sich die Dämmerung über die Stadt. Fröstelnd schlug er den Mantelkragen hoch. Wenn er wenigstens genug Ideen hätte, um den Entwurf für den Brunnen zu präsentieren! Sollte er vielleicht ein Modell aus Ton anfertigen? Oder eines aus lackiertem Holz? Ein Modell machte immer größeren Eindruck als eine Zeichnung und konnte zudem über manche Unvollkommenheit des Entwurfs hinwegtäuschen. Aber war ein solches Modell nicht Betrug? Nein, er würde mit der Präsentation warten, bis er einen Entwurf zu bieten hatte, der ohne solches Blendwerk auskam.
Im Haus gegenüber wurde ein Licht angezündet. Francesco glaubte, die Wärme zu spüren, die dort hinter dem Fenster jetzt herrschen musste, wo vielleicht eine Familie zu Abend aß oder ein Mann mit seiner Frau Vorbereitungen für das Osterfest traf. Er hatte niemanden, der bei ihm lebte und den Alltag mit ihm teilte – nicht mal Bernardo, sein Neffe, der seit einem halben Jahr bei ihm in die Lehre ging, wollte unter seinem Dach wohnen und hatte ein Zimmer im
borgo vecchio
gemietet. Plötzlich überkam Francesco eine entsetzliche Sehnsucht. Was für ein Trost würde es sein, jetzt einen Menschen zu haben, der ihm zuhörte und mit ihm redete, der seine Sorgen verstand und bereit war, sie mit ihm zu teilen – die Geborgenheit zu spüren, die nur ein anderer Mensch einem Menschen geben konnte. Dieses Verlangen überkam Francesco mit solcher Macht, dass er sich anders entschloss, und statt in die Richtung des Laterans zu gehen, schlug er den Weg zum Tiber ein, wo in den Kammern über den Tavernen einsame Frauen wohnten, die einsame Männer wie ihn empfingen, um ihnen für ein paar Münzen zuzuhören, mit ihnen zu reden und sie zu trösten. Sie gehörten zu den wenigen Menschen, die am Karfreitag arbeiteten – auch das hatten sie mit ihm gemein.
Während Francesco durch die dunkle Gasse ging, krähte irgendwo ein Hahn. Immer eiliger setzte er seine Schritte, als könne er so sich selbst entkommen.
8
»Halleluja! Christ ist erstanden! Halleluja, halleluja!«
Es war Osterabend, der Große Sabbat im Jahre 1648. Ganz Rom hallte vom Glockengeläut und von den Jubelgesängen wider, mit denen die Gläubigen in dieser ersten Samstagnacht, die auf den Frühlingsvollmond folgte, die Wiederauferstehung des Herrnfeierten, und die Straßen und Plätze waren nach den Vigilien taghell erleuchtet, um das Licht Gottes aufs Neue in die Welt zu tragen. Menschen, die seit Wochen ihre Häuser nicht mehr verlassen hatten, es sei denn, um Buße zu tun, liefen lachend durch die Straßen und umarmten und küssten einander. Das Jammertal war durchschritten, das hohe Fest brach an, die froheste
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