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Die Principessa

Die Principessa

Titel: Die Principessa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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eine Lehre sein«, sagte Bernardo.
    »Hoffentlich«, pflichtete Francesco seinem Neffen bei. »Doch jetzt komm, unsere Arbeit soll nicht länger wegen dem Scharlatan leiden!«
    Er machte auf dem Absatz kehrt, doch als er die Kirchentüraufstieß, um an seinen Zeichentisch zurückzukehren, hörte er hinter sich plötzlich ein Rauschen und Brausen, als ginge eine Sintflut auf die Piazza nieder.
    Entgeistert fuhr Francesco herum. In mächtigem Schwall ergossen sich die Fontänen in das marmorne Brunnenbecken, glitzernd und funkelnd brachen sich die Sonnenstrahlen in den sprudelnden Fluten, und die steinernen Fische und Delfine tummelten sich voller Lust zu Füßen des Obelisken in ihrem Element, unter den Augen der vier kolossalen, sich wohlig räkelnden Flussgötter, während Bernini mit lachendem Gesicht und ausgestrecktem Arm sein Werk präsentierte. Jedes Kind auf der Piazza begriff: Sein Versagen war nur Komödie gewesen, ein Spiel, um den Effekt des Gelingens zu erhöhen.
    Stöhnend wie ein verwundetes Tier, schloss Francesco die Augen. Wer hatte Bernini die Lösung verraten? Er selbst konnte unmöglich darauf gekommen sein – sein technischer Verstand reichte nicht aus, um einen Ziehbrunnen zu konstruieren. Als Francesco die Augen wieder öffnete, sah er am Brunnenrand gebückt Luigi, der den Mechanismus offenbar ausgelöst hatte, und plötzlich fiel ihm seine Nachbarin ein. Als er sie zur Rede gestellt hatte, war sie rot geworden und hatte nur Unsinn gestammelt. Hatte das Durcheinander auf seinem Arbeitstisch womöglich mit dieser Katastrophe zu tun?
    Jetzt blieb ihm nur noch die Hoffnung, dass der Papst den Platz bereits verlassen hatte. Aber nein! Nicht anders als er selbst hatte auch Innozenz kehrtgemacht, als das Wasser zu rauschen begann, und sein altes, narbiges Gesicht, aus dem er sonst so mürrisch in die Welt blickte, strahlte vor Glückseligkeit.
    »Mit dieser Freude, Cavaliere, hast du uns zehn Lebensjahre geschenkt«, sagte er zu Bernini, während das Brausen und Gurgeln des Brunnens sich unter den Ahs und Ohs des Publikums in ein gleichmäßiges, liebliches Plätschern verwandelte. »Dafür erlassen wir dir die restliche Strafe von dreißigtausend Scudi für dein Versagen von Sankt Peter und erlauben dir ferner, eine Bildsäule von uns zu fertigen.« Immer noch strahlend, wandte er sich anseine Schwägerin. »Donna Olimpia, lassen Sie tausend Silbermünzen aus unserer Privatschatulle holen und gleich hier verteilen. Jeder auf diesem Platz soll Anteil haben an unserer Freude.«
    Lauter Jubel brach los. Während der Papst in seiner Sänfte verschwand, verbeugte Bernini sich wieder und wieder vor der Menge auf der Piazza wie ein ehrgeiziger Opernsänger nach einer zu laut geschmetterten Arie. Francesco bebte am ganzen Leib. Da feierten sie diesen eingebildeten Dilettanten, vergötterten diesen prahlsüchtigen Hanswurst, der gerade einen Erfolg genoss, für den ein wirklicher Künstler sein Leben lang arbeiten muss. Das war die Gerechtigkeit der Welt! Und während Francesco mit ansehen musste, wie die Menschen immer lauter Beifall klatschten und Bravo riefen, als wären sie in Verzückung geraten, zerfraß der Neid sein Herz und seine Wut brannte vor Verzweiflung.
    Da fiel sein Blick auf die Principessa. Auch sie applaudierte, und ihre Augen leuchteten. Dieser Frau hatte er, um ihr Herz zu erobern, den Brunnen widmen wollen, den nun der andere gebaut hatte. Jetzt hörte sie auf zu klatschen, doch nur, um Bernini mit beiden Händen zu gratulieren. Es war ein so inniger Händedruck, den die beiden miteinander tauschten, begleitet von einem so liebevollen Lächeln, dass Francesco ihn in der eigenen Hand zu spüren glaubte – und darum nur umso schmerzlicher empfand, dass er nicht ihm galt, sondern seinem Rivalen.
    »Was stehst du da und gaffst!«, herrschte er seinen Gehilfen an.
    Er wandte sich ab – anders hätte er sich die Augen ausstechen müssen. Berninis Triumph war so vollkommen wie seine eigene Schmach: Der Phönix hatte sich aus der Asche erhoben, und ihm, Francesco Borromini, war es beschieden, Zeuge seiner Auferstehung zu sein.

22
    Die Glocke von Sant’ Agnese schlug zwölfmal an. Es war Mitternacht, die Zeit, in welcher der alte Tag erstirbt, um als heraufziehender Morgen neu geboren zu werden.
    Die Lichter im päpstlichen Schlafgemach waren erloschen, milchig weiß schimmerte im Mondschein die Mitra auf dem Nachtkasten, doch durch den schweren Samtvorhang drangen noch leise, intime

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