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Die Principessa

Die Principessa

Titel: Die Principessa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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    Als Clarissa am nächsten Morgen die Kirche Santa Maria della Vittoria verließ, wartete die Kutsche bereits vor dem Portal. Bei dem Anblick klopfte ihr das Herz. So viele Jahre war dies ihre geheime Vorstellung vom Glück gewesen: eine Kutsche mit verhangenen Fenstern, die in rasendem Tempo über unbekannte Straßen ratterte.
    Und jetzt stand die Kutsche vor ihr! Aber wo war Lorenzo? Sie schaute sich um – da sah sie, wie der Wagenschlag aufging und eine Hand sie zu sich winkte.
    Gott sei gelobt!
    Sie raffte ihre Röcke und eilte die Stufen des Portals hinab.

VIERTES BUCH
Im Vorgarten
des Paradieses
1655–1667

1
    Auf den Straßen und Plätzen Roms tobte der Mob. Die Bürger verbarrikadierten ihre Türen und Tore, die Fürsten, Kardinäle und Bischöfe stellten Wachen vor ihren Palazzi auf, und jedermann bewaffnete sich, so gut er konnte, wenn er sich aus dem Schutz der eigenen Wände ins Freie begab. Denn überall wurden Häuser geplündert, Kirchen gestürmt, Denkmäler geschändet. Und während Kornkammern und Warenlager in Flammen aufgingen, erscholl in der ganzen Stadt ein Ruf: »Der Papst ist tot! Der Papst ist tot!«
    Fernab von dem Getöse der Welt nahm Francesco Borromini in tiefer Loyalität und Dankbarkeit Abschied von seinem Pontifex Innozenz X. Er war der einsamste Mensch in ganz Rom. Nachdem die einzige Frau, die ihm je etwas bedeutet hatte, aus seinem Leben geschieden war, hatte er nun, im Alter von sechsundfünfzig Jahren, auch seinen »Vater« verloren.
    Doch an was für einem unwürdigen Ort vollzog sich dieser Abschied! Der Leichnam des Papstes war in einem Schuppen, der den Handwerkern der
reverenda fabbrica
gewöhnlich zur Aufbewahrung ihrer Werkzeuge diente, hinter der Sakristei von Sankt Peter aufgebahrt, bewacht nur von einem Arbeiter, der mit einer Schaufel die umherhuschenden Ratten verscheuchte. Denn nachdem die
novemdiales
, die neun Requiemmessen, im Dom gelesen worden waren, hatte am zehnten Tag nach Innozenz’ Tod, als seine sterblichen Überreste hätten beigesetzt werden sollen, die reiche Familie Pamphili sich geweigert, den schlichten Holzsarg für das Bestattungsritual zu bezahlen, obwohl dies nach altem Brauch Sache der Nepoten war. Weder Donna Olimpia, die sich auf die Armut des Witwenstandes berief, noch ihr Sohn Camillo hatten sich bereit erklärt, auch nur einen Scudo zu geben, sodass der Leichnam des Papstes nun seit Tagen in dem Schuppen verweste, ohne eine letzte Ruhestätte zu finden.
    Im blakenden Licht einer Talgkerze sprach Francesco seine Gebete. Er wusste, dies war nicht nur das Ende einer Epoche – der Tod des strengen Gottesmannes bedeutete auch einen tiefen Einschnitt in sein eigenes Leben. Alle großen Aufträge der letzten Jahre hatte er Innozenz zu verdanken. Daran hatte auch der Fehlschlag mit dem Vierströmebrunnen nichts geändert. Bis zum letzten Atemzug hatte der alte Papst ihm seine Gunst erwiesen, und der Auftrag, das Forum Pamphili zu errichten, war der größte Beweis.
    Francesco trat mit dem Fuß nach einer Ratte. Was würde nun geschehen? Innozenz war ein Mann gewesen wie er selbst, ein Mann, der nicht durch seine Worte, sondern durch seine Werke wirken wollte. Ihr gemeinsamer Ehrgeiz hatte sich nicht damit begnügt, Begonnenes zu vollenden, vielmehr wollten sie Neues in Angriff nehmen. Mit der Piazza Navona und Sant’ Agnese sollte ein Gegenstück zu Sankt Peter und dem Vatikan entstehen, welches das Vorbild noch übertraf: in Gestalt eines idealen Platzes. Den Menschen sollten die Augen übergehen bei seinem Anblick. Und was für eine großartige Idee hatte er dem Papst vorgelegt! Innozenz war außer sich vor Begeisterung gewesen und hatte prophezeit, dass die Welt den Atem anhalten würde. Francesco beschloss, den Platz dem Andenken dieses großen Mannes zu widmen, ihm mit der Piazza Navona für alle Zeit ein Denkmal zu setzen – dem Papst, nicht der Principessa.
    Trotzdem kehrte er wenige Minuten später auf dem Rückweg zu seinem kleinen Haus in Santa Maria della Vittoria ein – wie immer, wenn er an der Kirche vorüberkam. Er konnte nicht anders, er musste diesen Ort, den er wie kaum einen anderen hasste, betreten, als stehe er unter einem Zwang. Vielleicht, weil seine Idee für die Gestaltung der Piazza, der glänzende Einfall, in Gegenwart der Principessa geboren worden war? Er konnte es nicht sagen. Er wusste nur, hier allein hatte er Gelegenheit, Zwiesprache mit ihr zu halten.
    Gedämpft durch die dicken Mauern klang

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