Die Principessa
Fenster: Nein, es standen keine Wachen vor dem Tor, sie konnte es wagen. Auch ihre Hitzewallungen hatten nachgelassen und die Schmerzen in den Gliedern waren fast vollständig verschwunden. Dankbar küsste sie das kleine silberne Kreuz mit dem Erlöser an ihrem Rosenkranz und stieg aus der Kutsche.
Als sie auf die Straße trat, waren ihre Knie so weich, dass sie sich an der Mauer des Palazzos abstützen musste.
»Heda! Was machen Sie da?«
»Hilfe! Sie beschmiert die Wand!«
»Mit Pestsalbe! Holt die Sbirren!«
Die Stimmen riefen durcheinander – aufgeregte, böse, bedrohliche Stimmen. Olimpia drehte sich um. Ein Dutzend Menschen umringte sie, von Sekunde zu Sekunde wurden es mehr, von allen Seiten kamen sie herbei wie Ratten aus ihren Löchern und starrten sie an, mit aufgerissenen Augen, als wäre sie der Hölle entstiegen.
»Schaut nur, wer das ist!«
»Donna Olimpia!«
»Die Hure von Papst Innozenz!«
Was hatten diese Menschen? Waren sie verrückt geworden? Plötzlich waren die Schmerzen wieder da, die Hitze wallte in ihr auf wie eine Woge, und sie zitterte am ganzen Leib. Die Menschen kamen auf sie zu wie eine feindliche Armee. Jetzt bückte sich einer von ihnen, ein alter, zerlumpter Mann, und hob einen Stein auf. Jesus, was hatte er vor? Von panischer Angst ergriffen, fuhr Olimpia herum und trommelte gegen das Tor, mit den Händen, mit den Fäusten. Hörte sie denn keiner? Wo waren Camillos Leute? Sie musste dieses Tor zwischen sich und diese Menschen bringen!
»Hilfe! Macht auf!«
Mit einem Knarren öffnete sich das Tor, ein Diener lugte durch den Spalt. Als er sie sah, wich er zurück.
»Los, lass mich rein! Erkennst du mich nicht?«
Der Diener zog ein dummes Gesicht, fast hätte sie ihn geohrfeigt. Begriff der Kerl nicht, was passierte? Sie warf sich gegen das Portal, um sich durch den Spalt zu zwängen, doch statt ihr zu helfen, versperrte der Diener ihr den Weg, drängte sie mit Gewalt zurück, bis das Tor ins Schloss schnappte. Wo blieb Camillo, ihr Sohn? Im nächsten Augenblick hörte sie, wie auf der anderen Seite ein Riegel vorgeschoben wurde.
»Die Blutsaugerin! Jetzt bringt sie uns auch noch die Pest!«
»Sie wagt sich in die Stadt? Tod und Verderben über sie!«
»Die Sbirren! Wann kommen endlich die Sbirren?«
»Die brauchen wir nicht! Das machen wir selbst!«
Ein Stein flog durch die Luft, ganz dicht an ihrem Kopf vorbei. Olimpia duckte sich weg: Sie musste zurück in die Kutsche! Eine Sekunde schloss sie die Augen und holte Luft, um Kräfte zu sammeln. Doch zu spät! Als sie die Augen aufschlug, setzte sich ihr Wagen in Bewegung und fuhr davon.
»Ja, hängt sie auf!«
»Einen Strick! Wir brauchen einen Strick!«
Plötzlich verstummten die Rufe. Taumelnd vor Schwäche machte Olimpia einen Schritt zurück und schaute an der Palastfront empor. Da oben bewegte sich etwas. Im ersten Stock. Ein Vorhang wurde beiseite geschoben, und gleich darauf erschien eine Gestalt am Fenster, ein großer, stattlicher Mann in prächtiger Robe. Endlich! Tränen schossen ihr in die Augen. Was für ein Glück, dieses Gesicht zu sehen!
»Camillo …«, rief sie mit letzter Kraft. »Camillo … ich bin’s … deine Mutter …«
Er öffnete das Fenster. Ein Tuch vor dem Mund, beugte er sich über die Brüstung.
»Ist es wahr? Bist du es wirklich?«
Gott sei Dank, er hatte sie erkannt!
Ungläubig schaute er zu ihr herab, als könne er seinen Augen nicht trauen. »Was tust du hier? Warum bist du nicht in Viterbo?«
»Was befehlen Sie, Principe Pamphili?«, rief einer der Sbirren, die inzwischen eingetroffen waren.
»Wie? Was?«, fragte Camillo verwirrt.
»Mach das Tor auf, Camillo! Schnell! Beeil dich …«
Olimpia versagte die Stimme. Verstörrt starrte Camillo sie an. Warum sagte er nichts? Hatte er sie nicht gehört? In ihrer Not schickte sie ein Stoßgebet zum Himmel.
»Engel Gottes, steh mir bei!«
Plötzlich tauchte noch jemand am Fenster auf: die Fürstin Rossano, Camillos Frau. Als Olimpia ihre Schwiegertochter sah, drehte sich alles vor ihren Augen.
Die falsche Olimpia stutzte, dann schob sie ihren Mann beiseite und rief: »Was geht hier vor?«
»Die Hexe hat Ihr Haus beschmiert!«
»Mit Pestsalbe!«
Die Fürstin blickte erschrocken ihren Mann an. »Um Himmels willen, was sagen die Leute da?«
»Ihre Befehle, Principe!«, drängten die Sbirren.
»Sie dürfen Sie nicht einlassen, Don Camillo!«, rief die Fürstin Rossano. »Alexander hat sie verbannt!«
»Herrgott, sie ist
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