Die Principessa
Stuhllehne stützte, als habe sie Mühe, sich auf den Beinen zu halten.
Clarissa konnte es kaum glauben, doch es gab keinen Zweifel.
»Du hast ja – Angst …«, flüsterte sie.
Wo war Olimpias Stolz, wo ihre Majestät geblieben? Sie wirkte auf einmal so klein, so schwach, so verletzlich – als wäre sie geschrumpft, so wie einem die Räume der Kindheit geschrumpft erscheinen, wenn man sie nach Jahren wieder sieht. Ein erregendes Gefühl überkam Clarissa, als habe sie auf leeren Magen ein Glas Wein hinuntergestürzt. Es war wie ein Rausch, ein völlig fremdes Gefühl und gleichzeitig so vertraut wie von Anbeginn der Zeiten. Sie besaß Macht, Macht über einen Menschen! Sie brauchte nur mit dem Finger zu schnippen, und ihre Cousine war vernichtet! Es war ein so berauschendes, so überwältigendes Gefühl, dass ihr schwindlig davon wurde.
»Ja, du wirst mich töten«, sagte Olimpia, die Augen voller Entsetzen. »Du bist meine Schwester, vom gleichen Stamm wie ich, vom gleichen Fleisch und Blut.«
Auf einmal war Clarissa ganz ruhig. Ja, sie hatte einen Plan, klar und deutlich stand er ihr vor Augen: Sie wusste, wofür sie diese Macht besaß. War das der Grund gewesen, weshalb sie Bernini fortgeschickt hatte? Der Plan, nach dem sie schon gehandelt hatte, bevor sie ihn selber kannte?
»Wie groß ist dein Vermögen?«, fragte sie.
»Oh, daher weht der Wind!«, rief Olimpia erleichtert. »Hast du endlich begriffen, was Geld bedeutet?«
»Wie viel besitzt du?«, wiederholte Clarissa. »Wirklich zwei Millionen Scudi, wie die Leute sagen?«
»Ja.« Olimpia nickte, und ein Anflug von Stolz huschte über ihr immer noch angstgeflecktes Gesicht. »Sogar noch mehr. Willst du mich erpressen?«
»Wer kann über das Geld verfügen? Du allein – oder auch dein Sohn?«
»Was geht dich das an? Wozu sollte ich dir das sagen?«
»Um dein Leben zu retten. Ob du dieses Haus verlassen kannst oder ob ich die Sbirren rufe, hängt allein von dir ab.« Sie machte eine Pause, bevor sie weitersprach. »Ich bin bereit, alles zu vergessen, was ich von dir weiß, und auch für Cavaliere Bernini verbürge ich mich. Er wird kein Wort sagen, wenn ich ihn darum bitte.«
Olimpia schien jetzt noch blasser als zuvor. In ihrem Gesicht wechselten ungläubiges Staunen und aufkeimende Hoffnung.
»Und die Bedingung?«, fragte sie lauernd.
»Nur eine«, erwiderte Clarissa mit fester Stimme, »dass du Signor Borromini so viel Geld gibst, wie er braucht, um die Piazza Navona nach seinen Plänen zu bauen.«
17
Verschleiert, wie sie gekommen war, verließ Donna Olimpia den Palazzo am Campo dei Fiori. Der Wagen wartete vor dem Tor. Unwirklich, als habe sie Fieber, erschien ihr die Welt, mit gedämpften Tönen und verschwommenen Konturen. Auf der Piazza scharte sich eine Handvoll Gläubige hinter einem Pfarrer zu einem Bittgang, verschreckte Küken hinter einer schwarzen Henne, und sandten in schleppendem Wechselgesang Fürbitten zum Himmel, während die Pestknechte Kieselsteine gegen die Fenster der Häuser warfen, um zu sehen, ob in den Wohnungen noch jemand am Leben war.
»Bringt eure Toten heraus! Bringt eure Toten heraus!«
Olimpia war so schwach, dass sie kaum Kraft genug besaß, in die Kutsche zu steigen. Als sie in die Polster sank, klebten ihr von der Anstrengung die Kleider am Leibe. Was war nur mit ihr los? Schon bei Clarissa hatte sie sich nur mit Mühe auf den Beinen halten können. Aus der Dachluke eines Palazzos flogen Möbel und Bettzeug auf die Straße, wie Schneeflocken wirbelten die Federn durch die Luft. Olimpia zog die Vorhänge zu. Niemand in der Stadt durfte sie sehen. Wenn der Papst erfuhr, dass sie trotz der Verbannung nach Rom zurückgekehrt war, dann Gnade ihr Gott! Sie beugte sich vor und klopfte an die Trennwand.
»Zur Piazza del Popolo!«
Als die Pferde anzogen, spürte sie das Rütteln im ganzen Körper. Jeder Stoß, jeder Schlag schmerzte in ihren Gliedern. Doch mehr noch peinigte sie die Vorstellung, dass sie die Stadt verlassen musste, ohne ihren Sohn gesehen zu haben. Wie sollte Camillo in dieser Hölle nur ohne sie überleben? Aber sie hatte keine Wahl, es war zu gefährlich. An der Piazza del Popolo, so war es verabredet, wartete ein Zöllner auf sie. Sobald es dunkel war, würde er sie durch die Porta Flaminia aus der Stadt hinausbringen, genau so, wie er sie in der letzten Nacht hereingeschmuggelt hatte. Don Angelo hatte ihn bestochen.
Mit ihrem Schleier wischte sie sich den Schweiß von der Stirn,
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