Die Principessa
während schwarze Rosse ohne Reiter davongaloppierten und am Horizont ein Drache sich aus dem schäumenden Meer erhob, seine Häupter in den blutroten Himmel reckend, wo eine schwarze Frau mit wehendem Haar ihre Sense schwang.
»Jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen!«
Auf einmal brach die Musik ab. Die Sbirren hoben Olimpia von dem Karren, dann öffnete sich vor ihr ein Tor. Sie waren am Pesthaus angekommen.
»Heiliger Gott!«, stieß Olimpia, plötzlich wieder bei Sinnen, hervor und bekreuzigte sich.
Es war, als würde sie in die Hölle blicken. Berge von nackten, ineinander verschlungenen Leibern wanden sich unter ihr in einer Grube, von deren Grund ein Geheul aus tausend Kehlen aufstieg. Augen aus schwarzen Höhlen blickten sie an, Hände streckten sich ihr entgegen, als könnten sie nicht erwarten, sie zu sich hinunterzuziehen.
»Herr, sei meiner Seele gnädig …«
Plötzlich ließen die Sbirren sie los. Ein Stoß in den Rücken, ein stolpernder Schritt – dann schloss sich für immer das Tor zwischen ihr und dem Leben.
19
Über zehntausend Römer raffte die Pest dahin. Dann, im Advent des Jahres 1656, erschien dem Papst zum zweiten Mal der Engel im Traum. In ein schneeweißes Gewand gehüllt, erhob er sich über der Engelsburg und steckte sein flammendes Schwert in die Scheide. Sein Zorn war besänftigt. Keine Woche später wurden die Stadttore Roms wieder geöffnet: Die Seuche hatte ein Ende.
Während der Heilige Vater Lorenzo Bernini den Auftrag gab, sein Traumgesicht in Marmor zu hauen, als ewiges Mahnmal der Hoffnung aus dieser Zeit der Leiden, kamen an der Piazza Navona die Arbeiten zum Erliegen. Zu viele Steinmetze und Maurer waren der Pest zum Opfer gefallen, und die wenigen, die noch geblieben waren, weigerten sich immer öfter, die Befehle ihresebenso maßlosen wie strengen Baumeisters auszuführen. Man konnte es ihnen nicht verdenken: Nicht genug damit, dass Francesco Borrominis Entwürfe mit ihren Rundungen und Einzügen ihnen solche Kunstfertigkeit abverlangten, dass auch die Besten aus ihren Reihen darüber in Verzweiflung gerieten, blieben im Februar 1657 auch noch die Lohnzahlungen aus, die ihnen vertraglich zugesichert waren.
Was war passiert? Schon zu Zeiten der Pest hatte der Bauherr Don Camillo Pamphili seinem Architekten den Vorwurf gemacht, er verschleppe vorsätzlich die Bauarbeiten und lasse sich an der Piazza Navona nur noch blicken, um eine der Buchhandlungen in der Umgebung zu besuchen. Er wusste ja nicht, dass Francescos Sorge Clarissa McKinneys Gesundheit galt, und hätte er es gewusst, hätte es ihn schwerlich gekümmert. Donna Olimpias Sohn war es allein um die Sicherung seines Besitzes zu tun. Darum kam ihm jeder Vorwand gelegen, der ihm erlaubte, die Ausgaben für das Forum Pamphili zu reduzieren. Zudem hatte er, nachdem er auf Drängen seiner Frau in den neuen Familienpalast am Corso gezogen war, jedwedes Interesse an der Piazza verloren. Obwohl nur noch die Laterne zur Vollendung von Sant’ Agnese fehlte, ruhte die Arbeit an der Kirche monatelang. Als zwei Maurermeister versuchten, ihre Ansprüche auf dem Prozessweg durchzusetzen, erinnerte Francesco seinen Bauherrn an das Versprechen, das seine Mutter der Principessa gegeben hatte, und legte ihm zum Beweis den von Donna Olimpia unterschriebenen Vertrag vor. Doch Don Camillo zerriss das Papier vor seinen Augen, und statt die ausstehenden Zahlungen zu leisten, entließ er ihn aus seinen Diensten und verbot ihm zugleich, die Baustelle an der Piazza Navona künftig auch nur zu betreten. In der Öffentlichkeit begründete er diese Entscheidung mit schweren Mängeln beim Bau von Sant’ Agnese, die es angeblich zum Wagnis machten, der Kirche die fehlende Laterne aufzusetzen, sowie mit dem störrischen Charakter Francesco Borrominis, unter dessen Leitung die Arbeiten aller menschlichen Voraussicht nach niemals ein Ende finden würden.
»Gehen Sie nach Paris!«, sagte Clarissa, als sie nach ihrer Genesung ihren Freund im Vicolo dell’Agnello besuchte. »Der Louvre ist eine Aufgabe, die Ihrer Talente würdig ist.«
Francesco schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht die Absicht, in Paris in Konkurrenz zu einem Mann zu treten, der hier in Rom seit Jahr und Tag alles daransetzt, mein Werk zu verhindern. Er wird auch dort meine Bewerbung hintertreiben.«
»Sie müssen es versuchen, Signor Borromini! Bedenken Sie, welche Möglichkeiten sich Ihnen auftun! Der König von Frankreich hat Sie persönlich aufgefordert, sich
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