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Die Principessa

Die Principessa

Titel: Die Principessa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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reichte ihm erneut den Bogen und schaute ihn an. Ihr Gesicht war gerötet vor Erregung. Hatte es je eine größere Versuchung für einen Mann gegeben? Was die Principessa da in ihren Händen hielt, war der Entwurf eines Bauwerks, das seinen Schöpfer unsterblich machen würde, für alle Zeit, da Menschen auf Erden wandelten, die Augen hatten, um zu sehen. Der Einfall, die großartige Idee, nach der er selbst so lange vergeblich gesucht hatte … Plötzlich sah er, dass ihre Hand zitterte.
    »Nein«, sagte er, so schwer es ihm auch fiel. »Es ist unmöglich.«
    »Ihr letztes Wort?«
    Er nickte stumm.
    »Nun, ich kann Sie nicht zwingen«, sagte sie und legte den Plan auf seinen Schreibtisch. Dann wandte sie sich ab und ging zur Tür. Die Klinke schon in der Hand, drehte sie sich noch einmal um. »Ach, noch eins, Cavaliere …«
    »Ja?«
    »Bitte entfernen Sie das Monstrum an Ihrem Haus – es ist so überflüssig wie nur was!« Sie schien noch etwas sagen zu wollen, doch stattdessen nickte sie ihm nur zu und öffnete die Tür. »Ich wünsche Ihnen eine gute Reise.«
    Dann verschwand sie auf dem Flur, noch bevor Lorenzo sich aus seiner Erstarrung lösen konnte. Als er wieder zu sich kam, hörte er, wie draußen vor dem Palazzo eine Kutsche anfuhr.
    Verstört trat er ans Fenster. War das ein Abschied für immer gewesen? Nein, nein, er blieb ja nicht bis an sein Lebensende in Frankreich. Außerdem konnte er die Principessa vor seiner Abreise noch einmal besuchen – ja, das würde er tun, noch heute Nachmittag. Eine gute Idee! Dann konnte er ihr gleich den Entwurf zurückbringen.
    Sie sollte wissen, dass er über jeden Zweifel erhaben war.

23
    Lorenzo wandte sich vom Fenster ab. Da lag die Zeichnung auf dem Schreibtisch, neben seiner Reisetasche, ein lose eingerolltes Blatt. Ein weißer Bogen Papier, darauf ein paar Linien und Striche – weiter nichts.
    Warum hatte ihre Hand nur so gezittert?
    Über eine Minute starrte er die Rolle an, als wäre sie ein heimtückisches, gefährliches Tier, das in sein Studio eingedrungen war, um ihn zu belauern, immer auf dem Sprung, ihn anzufallen. Die Hände auf dem Rücken, ging er um den Tisch herum, wieder und wieder, betrachtete die Rolle von allen Seiten, als fürchte er Böses von ihr. Oder als habe er Angst, dass sie nicht mehr an ihrem Platz sein könnte, wenn er sie für eine Sekunde aus den Augen ließ.
    »Unsinn! Was tue ich da?«
    Abrupt brach er seine Wanderung ab und trat an seinen Schreibtisch. Mit spitzen Fingern, als könne er sich vergiften, nahm er die Zeichnung und legte sie auf einen Stuhl. In zwei Tagen würde er fahren, und es gab noch so viel zu tun. Doch während er auf dem Tisch seine Papiere ordnete, schielte er wie unter einem Zwang immer wieder zu dem Stuhl.
    War auf dem Blatt wirklich das, was er eben geglaubt hatte zu sehen? Oder hatte ihn seine Phantasie getäuscht?
    Nach zehn Minuten hielt er es nicht mehr aus, er nahm die Zeichnung und rollte sie auf. Er wollte den Entwurf noch einmal sehen, nur ein einziges Mal. Er musste es tun, konnte nicht anders.
    Voller Ehrfurcht studierte er den Plan. Nein, er hatte sich nicht getäuscht. Welche Größe! Welche Kraft! Den Plan in der Hand, ließ er sich auf einen Stuhl sinken. Während seine Augen über die Linien wanderten, griff er nach einem Apfel und biss hinein. Die Idee war so einfach – und doch so genial … In Gedanken ging Lorenzo bereits über den fertigen Platz zum Zentrum derEllipse, zu ihrem Brennpunkt. Sein Herz klopfte vor Erregung. Noch einen Schritt bis zu dem bezeichneten Punkt … Er ahnte, nein,
wusste
, was passierte, wenn er von diesem Punkt aus auf die Säulenzeilen sah. Was für ein Schauspiel!
    Plötzlich ließ er die Zeichnung sinken. Sollte das wirklich der Mann ersonnen haben, den er mit einem Marmorphallus verhöhnte, um sich für den Abriss seiner kleinen Kapelle zu rächen? Der Mann, den er zeitlebens als Steinmetz verlacht und gedemütigt hatte? Obwohl Lorenzo allein war im Raum, schämte er sich, wie er sich selten im Leben geschämt hatte.
    Seine Hände zitterten nicht weniger als die der Principessa, als er den Entwurf auf seinen Schreibtisch legte. Er hatte das Schauspiel nur vor seinem inneren Auge gesehen, und doch war er von dem Anblick ergriffen, als habe er Einblick in den Plan der Schöpfung genommen. Es war so leicht, diese Zeichnung mit seinem eigenen Entwurf für Sankt Peter zu verknüpfen, er brauchte das Oval nur zur Stadt hin mit dem Vorplatz zu erweitern –

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