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Die Principessa

Die Principessa

Titel: Die Principessa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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geheimnisvollen Gesetze, nach denen sie dort oben ihre Bahn zogen, seit Anbeginn der Zeiten? Sie schlug die Hände vors Gesicht. Nie war sie so einsam gewesen wie in dieser Nacht.
    »Ich weiß nicht, ob man solche Instrumente wirklich benutzen darf. Es ist, als würde man in Gottes geheimste Geheimnisse eindringen, doch ohne seine Erlaubnis.«
    Jetzt wusste auch sie, wie Abraham sich einst gefühlt hatte, am Vorabend seines Opfers. War die Kunst ebenso grausam wie Gott? Die Entscheidung zerriss ihr das Herz. Wenn sie sich verweigerte, die Ohren verschloss vor dem Ruf, mit dem das Schicksal sie beim Namen nannte, trug sie dann nicht die Schuld am Ruin seines Werks? Wenn der Himmel ihr die Möglichkeit gab, Francescos kühnsten Entwurf zu verewigen, diese einmalige, unerhörte Idee, die alles andere in den Schatten stellte, was er sonst im Leben vollbracht hatte – war es dann nicht ihr Auftrag, ihre Pflicht vor Gott und der Kunst, diese Möglichkeit zu ergreifen? Doch wenn sie handelte, in welche Katastrophe trieb sie Francesco womöglich durch ihre Tat? Konnte sie die Verantwortung tragen für alles, was immer dann geschehen mochte? Wenn Lorenzo ein weiteres, ein letztes, endgültiges Mal über ihn triumphierte, ihn ausstach in den Augen der Welt? WürdeFrancesco das ertragen? Sie kannte seinen Ehrgeiz, seine Eifersucht, seinen Neid auf den Rivalen, unter dem er zeit seines Lebens gelitten hatte wie Kain unter seinem Bruder Abel.
    »Alles ist da, in meinem Kopf, es müssten nur die Steine aufeinander gesetzt werden. Und doch wird die Welt untergehen, ohne dass die Piazza je Gestalt annimmt. Diese Vorstellung ist schlimmer als alles andere …«
    Ja, die Kunst war ebenso grausam wie der Gott Abrahams, maßlos war das Opfer, das sie forderte für ihren Altar. Wenn sie Francescos Idee rettete, würde sie ihren Freund für immer verlieren. Clarissa versuchte zu denken, zu beten, doch sie konnte weder beten noch denken – in ihrem Kopf kreiste immerzu nur diese einzige Frage, die ihr auferlegt war wie eine unentrinnbare Prüfung. Francescos Gesicht tauchte vor ihr auf, seine dunklen Augen, auf deren Grund sie die Melancholie seiner Seele ahnte wie die Untiefen in einem See. Diese Augen zu sehen war das Schlimmste – es waren die Augen eines Ertrinkenden.
    »Sollte es Gott einst gefallen, mich zu sich in sein Paradies zu rufen, werde ich noch dort darüber weinen.«
    Um seine Augen nicht länger auf sich zu spüren, kehrte sie zu ihrem Fernrohr zurück. Hell und klar sah sie die Spica am Himmel, den Hauptstern der Jungfrau, dann den Antares mit seinem rötlichen Glanz. Clarissa stockte der Atem: Zwischen den beiden Sternen, wie auf der Stirn über einem Augenpaar, erblickte sie den Saturn – gerade überschritt er die Grenze der Jungfrau. In mattem Gelb, umgeben von seinem Ring, schaute er auf sie herab, so fern und gleichzeitig so nah. »Eine Tasse mit zwei Henkeln« – der Anblick hatte Francesco die Idee für die Piazza eingegeben. Noch immer hatte sie seine Worte im Ohr, die er gesprochen hatte, als er den Stern, in dessen Zeichen er geboren war, zum ersten Mal durch ihr Fernrohr sah.
    »Gott hat uns zur Kunst befähigt, damit wir in ihr unsere Vergänglichkeit überwinden … Darum zählt jedes Kunstwerk hundertmal mehr als sein Schöpfer …«
    Sein Gesicht war voller Staunen gewesen, als er diese Wortesprach, und seine Augen hatten geleuchtet wie jetzt die Spica und der Antares über ihr am Firmament. Als schauten die Augen eines glücklichen Menschen sie an.
    Clarissa trat von dem Teleskop zurück. Endlich wusste sie, was sie zu tun hatte.

22
    »Pack auch den Gehpelz ein, Rustico!«, rief Lorenzo seinem Diener über die Schulter zu, der in der Tür auf seine Anweisungen wartete. »Es ist kalt in Paris.«
    »Sehr wohl, Cavaliere. Ich habe ihn schon gebürstet und die Flöhe entfernt.«
    »Und vergiss nicht die seidenen Hausmäntel! Wir wohnen am Königshof.«
    Dann wandte er sich wieder seinen Papieren zu. In zwei Tagen würde er aufbrechen – Ludwig XIV. hatte eigenhändig zwei Briefe an ihn und den Papst geschrieben, um ihn zur Reise zu bestimmen und im Vatikan den nötigen Urlaub durchzusetzen. Der König von Frankreich fand sich von den Plänen, die französische Architekten ihm für den Umbau des Louvre vorgelegt hatten, unbefriedigt, und da mehrere Wettbewerbe kein besseres Resultat ergaben, hatte er sich in seiner Not an Rom gewandt. Um die angespannten Beziehungen des Vatikans zu Frankreich zu

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