Die Principessa
zusammen würden beide Plätze die Form eines Tabernakels ergeben.
War das nicht ein Fingerzeig?
Lorenzo schloss die Augen. Seine Kindheit fiel ihm ein, eine Begebenheit in Sankt Peter. Er hatte im Dom zusammen mit seinem Vater gerade die Andacht verrichtet, als Pietro Bernini sich zur Tribuna wandte und sagte: »Eines Tages, mein Sohn, wird einer kommen, ein wunderbarer Geist, der hier zwei gewaltige Werke erschaffen wird, im richtigen Verhältnis zur ungeheuren Größe dieses Tempels.« Und er, ein zehnjähriges Kind, hatte gerufen: »Oh wäre doch ich dieser Geist!«
Lorenzo sprang auf, von derselben Begierde entflammt, die ihn damals beseelt hatte, in jenem schicksalhaften Augenblick. Mit dem einen Werk hatte sein Vater den Hochaltar gemeint – Lorenzo hatte ihn gebaut, schon vor vielen Jahren. Aber war damit sein Auftrag für das Gotteshaus erfüllt? Was war das zweite Werk, das sein Vater meinte?
Noch am selben Abend beschloss Lorenzo, seine Reise bis aufweiteres zu verschieben. Der König von Frankreich sollte warten. Er, Lorenzo, war noch nicht alt, er fühlte sich jung und voller Tatendrang.
Er würde später nach Paris fahren, sehr viel später …
24
Man schrieb den 22. Mai des Jahres 1667, als Papst Alexander VII.,
vulgo
Fabio Chigi, nach zwölfjährigem Pontifikat für immer die Augen schloss. Durch den Westfälischen Frieden, den sein Vorgänger mit der Welt geschlossen hatte, in seiner Macht zu sehr beschnitten, um sichtbaren Einfluss auf die irdischen Geschehnisse außerhalb des Kirchenstaates zu nehmen, hatte er sich in Ausübung seiner Herrschaft vor allem damit getröstet, zum Ruhme der Stadt Rom und der heiligen katholischen Kirche den Bau des Petersdoms und seiner Umgebung voranzutreiben.
Er hatte darum bei der Neugestaltung des Domplatzes keinerlei Kosten gescheut. Was immer sein Baumeister verlangte, gewährte er ihm. Ganze Straßenzüge wurden abgerissen, ebenso die Spina, das bebaute Mittelfeld der Piazza, um den nötigen Raum zu schaffen. Hundertschaften von Maurern, Steinversetzern und Pflasterern wurden eingestellt, dazu dutzende von Steinmetzen und Bildhauern, denn ein ganzes Heer von Statuen, einhundertvierzig an der Zahl, sollte die Kolonnaden bekrönen. Dank dieses ungeheuren Aufgebots von Kräften kamen die Arbeiten auf der größten Baustelle der Welt so gut voran, dass ihr Leiter Lorenzo Bernini im April 1665 getrost nach Paris aufbrechen konnte, zusammen mit seinem zweitältesten Sohn Paolo, einem Hausmeister und drei Dienern, um endlich dem Ruf des französischen Königs zu folgen.
Die Aufstellung der sechsundneunzig Säulen, die in vierfacher Reihung die Piazza säumten, durfte Papst Alexander noch erleben– die Einweihung des Platzes aber nahm sein Nachfolger vor, Papst Klemens IX., der im Juli 1667 vom Heiligen Kolleg zum Stellvertreter Christi gewählt worden war. Um die Bedeutung des Ereignisses zu betonen, verband der neue Herrscher des Kirchenstaates die Einweihung mit dem Fest seiner Thronbesteigung.
Gläubige aus aller Welt kamen zur feierlichen
possesso
des neuen Pontifex nach Rom gereist, und schon am frühen Morgen des Tages, da Klemens sich erstmals seinem Volk zeigen würde, strömten sie in Scharen zum Petersdom. Der Capitolspalast war mit goldgewirktem Damast behängt, auf den Plätzen verteilten die Sbirren Brotlaibe an die Armen und aus vielen öffentlichen Brunnen floss für vierundzwanzig Stunden statt klarem Wasser roter Wein.
Nur ein Mann in der Stadt weigerte sich, an dem gigantischen Spektakel teilzunehmen: Francesco Borromini. Allein in seinem kleinen, spartanischen Haus im Vicolo dell’Agnello verbrachte er den Tag damit, seine Gedanken und Papiere zu ordnen, eine stille, bescheidene Tätigkeit, die er nur unterbrach, wenn er von einem Hustenanfall geplagt wurde, was im Abstand von nur wenigen Minuten immer und immer wieder geschah. Denn seine Gesundheit hatte sich in den vergangenen Jahren so rapide verschlechtert, wie sein Stern als Architekt und Künstler in der Stadt gesunken war.
»Herzhusten« hatten die Ärzte die Krankheit genannt – was für ein wohlklingender Name! Dahinter verbarg sich nichts anderes als das Asthma, die alte Krankheit der Steinmetze, der Fluch seiner frühen Jahre. Manchmal waren die Anfälle so schlimm, dass er vor Atemnot am ganzen Körper in Zuckungen fiel und sich die Kleider vom Leibe reißen musste, um hechelnd wie ein Hund nach Luft zu schnappen. Dann konnte es sein, dass er vor Erschöpfung in einen
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