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Die Principessa

Die Principessa

Titel: Die Principessa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Pläne zu kopieren, die er im Laufe seines Lebens angefertigt hatte, um sie zusammen mit den Kommentaren in ihrem Buch zu vereinen.
»Opera del Cav. F.B.«
, wollten sie das Werk nennen,
»cavata da suoi originali«
.
    Besondere Sorgfalt verwandte sie dabei auf die Zeichnungen jener Bauten, die Francesco niemals aufgeführt hatte. Wenigstens im Buch sollten sie Unsterblichkeit erlangen: die Kirche Sant’ Agostino, das Grabmal der Marchesi di Castel Rodriguez, das Kloster der Kapuziner in Rom, die Fontäne der Piazza Navona und vor allem natürlich das Forum Pamphili, Francescos größtes und ehrgeizigstes Projekt überhaupt. Was für ein Unglück, dass die Piazza niemals Gestalt annehmen würde! Das Monstrum über Berninis Portal tauchte wie so oft in diesen Tagen vor ihr auf. Ob die Piazza wohl gebaut worden wäre, wenn Francesco und Lorenzo sich nicht entzweit hätten?
    Als die Glocken von Sant’ Andrea della Valle Mitternacht schlugen, räumte Clarissa ihre Aufzeichnungen in eine Mappe und verschloss sie in einem Schrank. Dann trat sie ans Fenster und blickte hinaus auf die träumende Stadt. Die Nacht war sternenklar. Ob man wohl die Nebel der Milchstraße sehen konnte? Obwohl sie schon müde war, öffnete sie das Fenster und justierte ihr Teleskop.
    Fünfundvierzig Grad – das würde ein günstiger Beobachtungswinkel sein. Sie trat an das Okular und schaute in den gestirnten Himmel. Immer noch erfüllte der Anblick sie mit einer Ehrfurcht, die sie in keiner Kirche empfand. Nicht der mächtigste Dom, nicht die gewaltigste Basilika kam an Majestät dem Himmelszeltgleich: Dies war die Wohnung Gottes, der Palast des Allmächtigen. In der unendlichen Weite des Raumes schienen die Sterne sich zu verlieren, und doch kehrten sie, unfehlbar auf ihren Bahnen geleitet, stets an dieselben Orte wieder, manche nach Wochen, manche nach Monaten, manche nach Jahren … Die Lebensbahn der Menschen, war auch sie dort oben vorgezeichnet, so wie die Bahn der Sterne?
    Am Tage hatte Clarissa den Petersdom besucht, um eine Zeichnung von dem Hochaltar zu machen. Vor der Basilika waren hunderte von Arbeitern damit beschäftigt gewesen, den Schutt wegzuräumen, der seit der Niederlegung des Glockenturms den Platz übersäte: Vorarbeiten für die Piazza, die Lorenzo Bernini im Auftrag des Papstes dort erschaffen sollte. Clarissa seufzte. Ja, Lorenzo würde seine Piazza bauen – Francesco nicht.
    Sie stellte das Okular ihres Fernrohrs nach und machte einen Schwenk. Bald hatte sie die Milchstraße im Visier. Und wirklich – da sah sie den Nebel! Unvorstellbar weit von ihr entfernt und doch deutlich zu erkennen: ein geheimnisvolles bläuliches Glimmen, eine Herde verstreuter Flecken, darin kleine helle Punkte. Waren es Kometen oder wurden dort gerade neue Sterne geboren? Die Flecken und Punkte schoben sich übereinander, verschmolzen in eins wie zwei Zeichnungen in einer Pause.
    Plötzlich überkam sie eine Frage, so plötzlich und unmittelbar, als risse vor ihr der Himmel auf. Gab es vielleicht doch eine Möglichkeit, dass Francescos Idee ausgeführt wurde, sein Entwurf trotz allem Gestalt annahm?
    Die Frage traf sie mit solcher Wucht, dass die Sterne vor ihren Augen tanzten. Sie verließ das Fernrohr und ging ans Fenster, die Knie auf einmal so weich, dass sie sich auf der Brüstung aufstützen musste. Ja, es gab eine Möglichkeit, sie war sogar ganz einfach – und sie, Clarissa McKinney, hatte es in der Hand, das Schicksal zu wenden, dem Baumeister Francesco Borromini für immer einen Platz im Olymp zu sichern. Was für ein Gedanke! Doch was war der Preis, den der Himmel dafür verlangte? Was würde passieren, wenn sie ihrer Eingebung folgte? Sie wusste esnicht, sie ahnte nur dunkel: Es war eine Entscheidung zwischen der Kunst und dem Leben.
    »Das heißt, das Werk zählt mehr als der Mensch?«
    Wie eine Obsession hallte die Frage in ihr nach, während sie erregt im Zimmer auf und ab ging. Francesco hatte sie bejaht, ohne zu zögern, doch nun betraf die Entscheidung ihn selbst, und sie musste sie an seiner Stelle treffen. Zweifel überfielen sie, brannten wie Säure in ihrer Seele. Wer war sie, solches zu entscheiden? Wollte sie die Vorsehung korrigieren? War das nicht gottlose Anmaßung, Eingriff in die Befugnisse des Himmels? Sie schaute zum Fenster hinaus. Unbeirrbar, als wäre nichts geschehen, blinkten die Sterne am Firmament, nicht anders als vor dem Augenblick ihrer Heimsuchung. Hatte sie ihre Ordnung je begriffen? Die ewigen,

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