Die Principessa
außer dem Cherub? Ich würde sie gerne sehen.«
Er zog ein Gesicht, als hätte sie ihn geohrfeigt.
»Nein«, sagte er schroff. »Ich bin kein Architekt, ich bin Steinmetz.«
»Und der Altar?«, fragte sie und zeigte in die Mitte der Vierung, wo sich auf einem frisch errichteten Fundament ein haushohes Holzmodell erhob. »Die ganze Stadt spricht davon, und ich weiß genau, dass Sie daran arbeiten.«
»Der Altar ist nicht mein Werk«, erwiderte er. »Cavaliere Bernini hat ihn entworfen. Ich helfe nur, seine Pläne auszuführen. Von mir sind«, fügte er fast trotzig hinzu, »die Eisengitter vor der Kapelle dort drüben.«
»Das kann nicht sein!«, rief sie, beinahe empört. »Man muss Ihnen doch Gelegenheit geben, an dieser Kirche mitzubauen!«
»Das ist die Aufgabe von Dombaumeister Maderno und Cavaliere Bernini.«
»Unsinn! Das ist die Aufgabe von jedem, der diese Kirche liebt – und Sie lieben sie mehr als jeder andere. Nein«, schnitt sie ihm das Wort ab, bevor er etwas sagen konnte, »lügen Sie nicht! Ich habe gesehen, wie Ihre Augen leuchteten. Der Papst soll sich schämen, dass er Ihnen noch keinen Auftrag gegeben hat.« Plötzlich hatte sie eine Idee. »Wenn Sie mir noch nichts Fertiges zeigen können, dann zeigen Sie mir wenigstens Ihre Pläne!«
»Warum sollte ich Pläne haben? Ich sagte doch, ich bin kein Architekt.«
»Und was ist mit den Plänen für mein
appartamento?
Türmchen, die wie Spiralen in den Himmel aufsteigen, Verzierungen, die Galerien und Loggien vorgaukeln, wo gar keine sind – Erfindungen, wie ich sie nirgendwo sonst gesehen habe.« Sie machte einen Schritt auf ihn zu. »Ich weiß, dass Sie Architekt sind, und Sie selber wissen es auch. Bitte«, wiederholte sie, »zeigen Sie mir Ihre Pläne! Ich würde sie wirklich gerne sehen.«
Sie schaute ihn an, doch er schlug die Augen nieder.
»Bitte!«, wiederholte sie.
Endlich erwiderte er ihren Blick, mit roten Flecken im Gesicht. »Nun gut.« Er nickte. Er ging zu einem Arbeitstisch, der neben dem Altar aufgeschlagen war, und zog unter der Tischplatte eine Rolle hervor. »Ich habe das noch niemandem gezeigt«, sagte er, während er das Blatt vor ihr ausbreitete, als wolle er sich entschuldigen. »Und damit Sie mich nicht missverstehen: Es ist nur ein Zeitvertreib, zur Übung, um zeichnen zu lernen.«
Als Clarissa auf das Blatt schaute, hätte sie am liebsten vor Freude gejauchzt. Sie erkannte sofort, was dort abgebildet war: die Fassade von Sankt Peter. Doch wie herrlich sah sie aus! Castelli hatte sie nicht einfach abgezeichnet, sondern ihr ein völlig neues Gesicht gegeben: Anders als in der Wirklichkeit ragten auf dem Entwurf rechts und links der Front zwei eckige Glockentürme empor.
»Ich hatte es ja gewusst«, sagte sie fasziniert. »Und ob Sie ein Architekt sind! Das ist wirklich wunderschön. Mit den Türmen wirkt alles viel leichter, viel harmonischer als jetzt. Aber«, fügte sie dann fast erschrocken hinzu, »wie können Sie eine so wertvolle Zeichnung hier liegen lassen! Haben Sie keine Angst, dass jemand sie stiehlt?«
»Warum sollte jemand einen Entwurf von mir stehlen?«
»Warum stiehlt jemand ein Stück Gold?« Sie lachte. »Glauben Sie, ein Dieb fragt danach, ob sein Besitzer berühmt ist oder nicht?« Sie schüttelte den Kopf. »Wissen Sie was, Signor Castelli?«, sagte sie plötzlich sehr ernst. »Ich bin stolz darauf, dass ich Sie kenne. Und ich hoffe von Herzen, dass ich noch lange genug hier sein werde, um diese Türme draußen an der Fassade mit eigenen Augen anzuschauen.«
»Dann ist Ihre Hoffnung vergebens, Principessa. Diese Türme werden niemals stehen.«
»Sagen Sie, was Sie wollen, Signor Castelli – ich weiß es besser!« Sie legte das Blatt auf den Tisch und berührte seine Hand. Wieder sah sie dieses scheue Lächeln auf seinem Gesicht, zum zweiten Mal innerhalb weniger Minuten, und wieder spürte siedieses komische warme Gefühl in der Brust, das so irritierend war und gleichzeitig so schön.
»Sie müssen Ihren Meister verlassen«, sagte sie, »und eine eigene Werkstatt gründen!«
»Ich habe eine eigene Werkstatt.«
»Als Steinmetz – aber das reicht nicht! Beweisen Sie dem Papst und seinen Kardinälen, dass Sie mehr als ein Handwerker sind! Sie sind dafür geboren, Architekt zu sein. Das ist Ihre Berufung. Nur wenn Sie ihr folgen, können Sie tun, was Sie tun
müssen:
Ihre eigenen Gebäude bauen – Kirchen und Paläste.«
Sie drückte seine Hand, um ihren Worten Nachdruck zu
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