Die Principessa
Italienische übersetzte, strich Olimpia ihr tröstend über das Haar.
»Du wusstest doch, dass es eines Tages so weit sein würde.«
»Ja, sicher. Doch jetzt … jetzt kommt alles so schnell, so plötzlich.«
»Aber das ist doch kein Grund, traurig zu sein! Du darfst nach London, vielleicht sogar als Hofdame der Königin. Jeder wird dich beneiden. Und vorher feierst du Hochzeit!«
Clarissa blickte auf. Als sie Olimpias forschendes Gesicht sah, konnte sie die Wahrheit nicht mehr länger verschweigen.
»Ich will diesen Mann nicht heiraten«, platzte sie heraus. »Ich … ich kenne ihn doch gar nicht! Wie soll ich ihn da heiraten?«
»Unsinn, mein Kind. Wenn deine Eltern einen Mann für dich ausgewählt haben, musst du ihnen dankbar sein. Glaub mir, du wirst sicher sehr, sehr glücklich werden. Der Ehestand ist die natürliche Bestimmung der Weiber.«
»Ach, Olimpia!« Clarissa schluchzte laut auf. »Ich habe solche Angst. Ganz allein in einem Schloss mit einem Mann, den ich noch nie gesehen habe. Ich weiß doch nur, dass er ein Lord ist und uralt, schon über dreißig Jahre, und irgendwo im schottischen Moor lebt.«
Sie vergrub ihr Gesicht an der Brust ihrer Cousine und ließ ihren Tränen freien Lauf. Olimpia streichelte ihren Rücken und flüsterte leise italienische Worte, Worte wie Seide, ruhig und geduldig, bis Clarissa aufhörte zu weinen. Dann zog sie ein Tuch aus ihrem Ärmel und trocknete ihr die Augen.
»Was hast du heute im Dom gemacht?«
»Ich … ich habe die Kuppel besichtigt, auf der Galerie …«
»Du warst auf der Galerie? Dafür braucht man einen Schlüssel.« Olimpia fasste sie am Kinn und hob ihren Kopf. »Wer hat dir die Kuppel gezeigt?«
Clarissa zögerte. Weshalb fiel es ihr so schwer, den Namen zu nennen?
»Du musst es mir sagen, mein Kind.«
»Signor … Signor Castelli …«
»Castelli? Der Steinmetz?«, fragte Olimpia verwundert. Clarissa schluckte. »Ja, Signor Castelli«, wiederholte sie, nun deutlich und klar. »Aber er ist kein Steinmetz, sondern Architekt.Er hat mir die Kuppel gezeigt. Die Kuppel und den Altar und die Deckengemälde«, sprudelte es plötzlich aus ihr heraus, »und auch die Laterne und die Pfeiler und die vier Evangelisten mit ihren Symbolen – alles hat er mir erklärt, so wunderbar, wie mir noch nie jemand etwas erklärt hat. Er ist so klug, so gebildet und dabei so bescheiden, fast schüchtern, dass man manchmal meint, er sei einem böse, aber dann hat er gelächelt, zweimal sogar hat er mich angelächelt …«
So plötzlich, wie sie zu reden begonnen hatte, verstummte sie. Sie kam sich auf einmal sehr dumm und unbeherrscht vor und überhaupt nicht erwachsen.
Olimpia nickte. »Ich habe dir bei deiner Ankunft etwas versprochen«, sagte sie ernst. »Dass ich dir die ältere Freundin sein werde, die deine Mutter mir früher war. Erinnerst du dich?«
»Ja, Olimpia.«
»Darum muss ich dir jetzt einige Fragen stellen. Und du musst mir versprechen, sie ehrlich zu beantworten. Willst du das tun?« Als Clarissa nickte, nahm sie ihre Hand. »Freust du dich, wenn du Signor Castelli siehst?«
»Am liebsten«, sagte Clarissa leise, »würde ich ihn jeden Tag sehen.«
»Kommt es manchmal vor, dass du an ihn denkst, wenn du einschläfst?«
»Wenn ich einschlafe – und wenn ich aufwache.«
»Und wenn du ihn siehst, was empfindest du? Spürst du dann ein Kribbeln im Nacken? Oder einen Schauer im Rücken?«
Clarissa schüttelte den Kopf.
»Beginnt dein Herz laut zu klopfen? Trocknet dir der Mund aus? Hast du ein flaues Gefühl im Magen? Werden dir die Knie weich?«
»Nein«, sagte Clarissa. »Das ist es alles nicht.«
Olimpia hob überrascht die Brauen. »Was spürst du dann?«
»Es ist etwas anders – ein warmes, ganz sanftes Gefühl. Und … ich werde so ruhig, wenn er da ist und mit mir spricht. Dann vergesseich alles andere, so wohl fühle ich mich, und ich wünsche mir nur, dass es gar nicht wieder aufhört.«
Olimpia nickte ein zweites Mal, ernster als zuvor. »Dann ist es noch schlimmer, als ich befürchtet hatte.« Sie nahm Clarissa in den Arm. »Du armes, dummes Kind.«
»Warum sagst du das, Olimpia? Du machst mir Angst.« Clarissa befreite sich aus der Umarmung. »Du redest ja wie ein Arzt mit einem Patienten, der eine schlimme Krankheit hat.«
»Die hast du auch. Die schlimmste, die eine Frau überhaupt haben kann.«
»Aber was ist das für eine Krankheit? Ich spüre doch gar nichts, außer … außer …« Sie suchte nach dem richtigen
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