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Die Principessa

Die Principessa

Titel: Die Principessa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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selbst auf die Idee gekommen bin.«
    Er lächelte schon wieder. Wollte er sich über sie lustig machen? Aus irgendeinem Grund fing ihr Herz an zu klopfen und ihr Mund wurde trocken. Was hatte das zu bedeuten? Sie war doch gar nicht aufgeregt. Sie nahm ein frisches Glas Wein und leerte es in einem Zug.
    »Wollen Sie mich nicht doch besuchen?«, fragte er und wedelte mit seinem Fächer.
    Clarissa beschloss, das Thema zu wechseln.
    »Sind alle Skulpturen hier von Ihnen?«
    »Meinen Sie hier im Palast oder hier in Rom?«
    Sie überhörte diesen weiteren Beweis seines Hochmuts und sagte sehr von oben herab: »Ich stelle mir das furchtbar mühsam vor, so eine Bildsäule zu meißeln.«
    »Mühsam? Überhaupt nicht!« Er lachte. »Es ist doch alles schon da! Was immer es werden soll, ob ein segnender Kardinal oder eine badende Frau, der Marmorblock enthält jede Figur, die Sie sich vorstellen können.«
    »Wie bitte?«
    »Aber ja doch! Sie müssen nur den überflüssigen Stein entfernen.«
    Gegen ihren Willen musste Clarissa lachen. Hatte sie vielleicht zu schnell getrunken? Sie stellte ihr Glas ab, ohne Bernini aus den Augen zu lassen. Wie frech er sie angrinste! Zu ihrer Verwunderung ärgerte sie sich nicht einmal darüber.
    »Und der Cherub da?«, fragte sie und zeigte auf die Büste eines verzweifelt aufschreienden Mannes. »Hatte der sich auch im Marmor versteckt?«
    »Cherub?«, fragte Bernini verwundert. »Wie kommen Sie darauf? Cherubine sind die glücklichsten Geschöpfe, die es gibt. Sie jauchzen und frohlocken immerzu.«
    »Ich dachte, sie leiden unter Gottes Nähe? Weil sie selber unvollkommen sind.«
    »Unsinn! Nein, die Büste stellt eine verdammte Seele in der Hölle dar. Lassen wir sie also weiter dort schmoren! Doch sagen Sie, welche Skulptur gefällt Ihnen am besten?«
    Clarissa schaute sich um. Der Priap, der schamlos vor einem Fenster prangte, ganz sicher nicht, ebenso wenig die Marmorziege, die einen Knaben säugte. Vielleicht der David am Ende des Saales? Nein, der kam auch nicht in Frage. Sein Gesicht ähnelte dem seines Schöpfers.
    »Was für ein Paar ist das dort drüben?«
    »Sie meinen Apollo und Daphne? Ich bewundere Ihren Geschmack!«
    Er klappte seinen Fächer zu und ließ ihn in der Spitzenstulpe seines Ärmels verschwinden. Dann reichte er ihr seinen Arm und führte sie durch eine offene Verbindungstür in den Nebenraum, wo sie zuerst nur Apollos Rücken und Daphnes fliegende Haare erblickte, zusammen mit einem Paar Hände, die sich allmählich in Lorbeerzweige verwandelten.
    »Ich habe sie absichtlich so aufstellen lassen. Damit man alles nach und nach entdeckt.«
    Erst von hier aus, in der Mitte des Raumes, konnte Clarissa in die Gesichter der Figuren schauen. Sie sahen aus, als wollten sie durch das Fenster gegenüber in den Garten laufen. Am Sockel waren zwei Verse eingemeißelt.
    »›Der Liebende, der vergängliche Schönheit umklammern wollte, pflückt bittere Frucht; er wird nur trockene Blätter ergreifen.‹ Was hat das zu bedeuten?«
    »Das hat Papst Urban gedichtet.« Bernini lachte. »Damit ein keuscher Betrachter keinen Anstoß nimmt. Ein Kardinal hat nämlich gesagt, er wolle die Figur nicht in seinem Haus haben – ein so schönes nacktes Mädchen raube ihm die Nachtruhe.«
    Dabei grinste er schon wieder! Was für eine Frechheit! Aber wenn er sich einbildete, sie auf diese Weise einzuschüchtern, hatte er sich geirrt!
    »Kann es sein, dass ich den Apollo schon mal gesehen habe?«, fragte sie. »Er erinnert mich an den vom Belvederehof im Vatikan.«
    »Natürlich tut er das!«, rief Bernini. »Den habe ich ja kopiert! Warum sollte ich versuchen, etwas Vollkommenes zu verbessern?Aber erkennen Sie auch die Unterschiede? Das ruhige Gesicht, das Sie im Belvedere gesehen haben, ist jetzt ganz außer Atem von der Jagd nach der Geliebten, und schauen Sie nur, wie er staunt! Kein Wunder, wenn die Nymphe, die er mit solcher Sehnsucht begehrt, sich vor seinen Augen in einen Lorbeerbaum verwandelt, um ihm zu entkommen. Armer Apoll! Frauen können so grausam sein.«
    »Was für eine seltsame Geschichte«, sagte sie. »Und das hat alles in dem Marmorblock gesteckt?«
    »Ja, von Anfang an.« Er nickte, und seine Augen sprühten vor Begeisterung. »Als Idee. Dieser eine Augenblick, in dem sich alles entscheidet: Was wird siegen – ihre Tugend oder sein Begehren? Wenn ich die Idee weiß, brauche ich nur den Meißel in die Hand zu nehmen, und der überflüssige Stein fällt ganz von allein ab.

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