Die Principessa
…«, sie stockte, bevor sie den Namen aussprach, »… Castelli?«
»Castelli?«, fragte der Zimmermann zurück. Er nahm seine Mütze vom Kopf und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. »Hier arbeitet keiner, der so heißt.«
Dann verschwand er in der Kirche. Enttäuscht blickte Clarissa ihm nach. Sollte sie sich so sehr geirrt haben? Sie schaute an der Fassade empor: Diese Bögen, diese Wölbungen – das war doch ganz und gar Castellis Art! An manchen Stellen ein wenig unbeholfen, fast linkisch, dann wieder kühn und von phantastischem Einfallsreichtum, genau wie er selbst.
»Vergebung, Eccellenza«, sprach sie jemand an. »Sie suchen den Architekten Castelli?«
Vor ihr stand ein Steinmetz mit staubgrauem Bart.
»Ja!«, sagte sie voller Hoffnung. »Können Sie mir helfen?«
»Könnte sein«, antwortete der Mann. »Ich habe früher mal für ihn gearbeitet. Soviel ich weiß, baut er jetzt einen Palazzo im Borgo Vecchio, gleich bei der Porta Castello. Vielleicht fragen Sie da mal.«
Clarissa drückte ihm ein paar Münzen in die Hand und eilte zurück zu ihrer Equipage. Keine fünf Minuten später überquerte sie den Tiber und passierte die Engelsburg, die selbst im milden Schein der Abendsonne so düster und bedrohlich wirkte, dass Clarissa fröstelte.
Als sie die Baustelle schließlich sah, traute sie ihren Augen nicht. Das Gebäude bot einen so finsteren Anblick, dass im Vergleich dazu die Engelsburg wie ein Lustschloss erschien. Noch größer aber war Clarissas Verwunderung, als ihr ein Maurer sagte, dass tatsächlich Castelli der Architekt dieses abscheulichen Bauwerks sei.
»Aber warum fragen Sie ihn nicht selbst? Da drüben steht er ja!« Clarissa spürte, wie ihre Hände feucht wurden, während sie sich dem Mann näherte, den der Maurer ihr gezeigt hatte. Er stand mit dem Rücken zu ihr und gab gerade ein paar Arbeitern Anweisungen.
»Signor Castelli?«
Mit einer langsamen Bewegung drehte er sich zu ihr herum. Clarissa stutzte. Ein vollkommen fremder Mensch blickte sie an, mit erhobenen Brauen und gespitzten Lippen und einem so dümmlichen Gesicht, wie Clarissa nur selten zuvor eines gesehen hatte.
»Womit kann ich Ihnen dienen?«, fragte er.
Ohne ihm eine Antwort zu geben, machte sie auf dem Absatz kehrt. Doch so erleichtert sie war, fühlte sie sich zugleich um eine Hoffnung ärmer. Wo konnte sie jetzt noch suchen? Ihr fiel nur eine Möglichkeit ein.
»Zum Vicolo dell’Agnello!«, rief sie Giulio zu, als sie wieder in der Kutsche saß.
Sie erkannte das windschiefe Haus schon von weitem. Bei seinem Anblick überkam sie die Erinnerung an ihre letzte Begegnung mit Castelli, an sein versteinertes Gesicht und die grenzenlose Trauer, die aus seinen Augen gesprochen hatte, und plötzlich verließ sie jeglicher Mut. Was ging sie das alles überhaupt an? Ach, mehr als ihr lieb war! Vielleicht war sie der einzige Mensch in der Stadt, der die wahre Geschichte des Glockenturms kannte. Nein, ob sie wollte oder nicht, sie musste dafür sorgen, dass die Wahrheit ans Tageslicht kam. Sie stieg aus der Kutsche und klopfte an die Tür.
Niemand machte auf. Sie klopfte ein zweites Mal – wieder keine Reaktion.
»Suchen Sie jemand?«, fragte eine junge Frau, die sich mit langem Hals aus dem Fenster des Nachbarhauses beugte.
»Ja«, sagte Clarissa. »Wohnt hier Signor Castelli?«
Die Frau schüttelte den Kopf.
»Sind Sie sicher? Ich weiß genau, dass er früher hier gelebt hat.«
»Tut mir Leid, aber den Namen kenne ich nicht. Und ich wohne schon fünf Jahre hier.«
»Fahren wir jetzt zu meiner Schwägerin?«, fragte Giulio, als sie wieder in die Equipage stieg.
Erschöpft ließ Clarissa sich in die Polster fallen. Draußen senkte sich bereits die Dunkelheit über Rom. Streng und abweisend blickten die Fassaden der uralten Häuser sie an, als wolle die Stadt ihr den Zutritt verwehren, die Geheimnisse, die sich hinter den Mauern verbargen, vor ihr bewahren. Clarissa schloss die Augen. Und wenn sie einfach Donna Olimpia fragte, wo Castelli steckte? Vielleicht hatte sie etwas von ihm gehört. Nein, ihre Cousine würde sie nicht verstehen, sie würde ihr nur Schwierigkeiten in den Weg legen, künftig das Haus zu verlassen. Olimpia hatte sich sehr verändert. Seit ihr Mann gestorben war, trug sie stets einen Rosenkranz in der Hand und führte ihrem Schwager, Kardinal Pamphili, den Haushalt, streng wie eine Äbtissin.
Clarissa richtete sich auf und ordnete ihren Schleier. Nein, es gab nur einen
Weitere Kostenlose Bücher