Die Principessa
Kuss vergessen hast, und ich glaube dir.«
Sie wollte sprechen, aber die Stimme versagte ihr. Kein Wort kam über ihre Lippen, während sie sich eine endlose Sekunde anschauten. Dann konnte sie seinen Blick nicht länger ertragen. Sie schlug die Augen nieder und wandte sich ab.
6
»Was hat das zu bedeuten?« Clarissa ging die Treppe hinunter in die Halle, als Donna Olimpia sie aus ihren Gedanken aufschreckte. Sie hatte die Abendstunden in ihrem kleinen Observatorium verbracht, im Dachgeschoss des Palazzo Pamphili, wo sie nach ihrer Ankunft aus England ihr neues, erst auf der Reise erworbenes galileisches Fernrohr aufgestellt hatte, um beim Betrachten des Sternenhimmels ihr inneres Gleichgewicht wieder zu finden. Das Himmelszelt war Ausdruck der göttlichen Ordnung und der ewigen Gesetze, die darin walteten, und es gab keine größere seelische Wohltat für sie, als sich in diese Ordnung zu versenken.
»Der wurde soeben im Auftrag von Cavaliere Bernini für dich abgegeben«, sagte Olimpia und zeigte auf einen riesigen Obstkorb, den ihr Sohn Camillo, ein dicklicher junger Mann, mit dem ebenso hochmütigen wie dümmlichen Gesichtsausdruck betrachtete, den Clarissa noch von seinem Vater her kannte.
»Kannst du mir den Grund erklären?«
»Ich … ich habe keine Ahnung«, erwiderte sie unsicher.
Olimpia blickte sie forschend an. »Hast du den Cavaliere wieder gesehen?«, fragte sie, wie stets einen Rosenkranz um die Hand, während Camillo einen Pfirsich aus dem Korb nahm und mit einer Gier hineinbiss, als habe er zwei Tage nichts zu essen bekommen. »Nun?«
Olimpia machte ein so strenges Gesicht, dass Clarissa die Frage instinktiv verneinen wollte. Doch hatte sie das nötig? Sie war inzwischen eine erwachsene, verheiratete Frau von siebenunddreißig Jahren und kein dummes Mädchen mehr, das um Erlaubnis fragen musste, wenn es das Haus verließ.
»Ich habe den Cavaliere nach dem Glockenturm von Sankt Peter gefragt. Du weißt ja, wie sehr ich mich für Architektur interessiere.«
Olimpias Augen blitzten zornig auf. »Ehrbare Frauen treffensich nicht ohne Begleitung mit fremden Männern. In England vielleicht, hier nicht!«
»Der Cavaliere ist kein Fremder«, erwiderte Clarissa. »Der britische Gesandte hat ihn mir vorgestellt, im Palast der englischen Könige, du warst doch damals selbst dabei.«
»Das ist ganz einerlei! Ich will nicht, dass du mit diesem Mann sprichst!«
»Aber warum nicht?«, fragte Clarissa trotzig. »Ich dachte, du würdest den Cavaliere schätzen. Du hast stets voller Hochachtung von ihm gesprochen.«
»Er hat die Familie Pamphili beleidigt. Er hat sich geweigert, das Mausoleum für meinen Mann zu bauen, obwohl ich ihn persönlich darum gebeten habe. Als habe er Urban und den Barberini seine Seele verkauft.«
Ihr fein geschnittenes Gesicht drückte eine Mischung von Zorn und Verletzung aus. Plötzlich verstand Clarissa ihre Cousine. Olimpias Mann war erst vor einem halben Jahr am Fieber gestorben, die Wunde war noch ganz frisch.
»Es tut mir so Leid, was dir widerfahren ist«, sagte Clarissa beschämt.
»Gottes Wille geschehe!«, erwiderte Olimpia und schlug ein Kreuzzeichen. Dann legte sie ihren Arm um die Schulter ihres Sohnes, der mit safttriefendem Mund seinen Pfirsich argwöhnisch beäugte, als sei er vergiftet, und zog ihn an sich, wie um ihn zu beschützen. »Meine Aufgabe ist es, für das Wohl der Familie Pamphili zu sorgen. Und was deinen Aufenthalt in dieser Stadt betrifft«, fügte sie hinzu, »so hat er nur einen Zweck: für deinen Mann zu beten – damit dich nicht dasselbe Schicksal ereilt wie mich.«
Olimpia nickte dabei so heftig mit dem Kopf, dass die großen, inzwischen von silbrigen Fäden durchzogenen Ringellocken links und rechts von ihrem Gesicht auf und ab tanzten. Schuldbewusst senkte Clarissa den Blick. Sie hatte gewusst, dass es nicht gut war zurückzukehren, nachdem sie so lange Zeit gebraucht hatte, um Rom zu vergessen – die Stadt und all dieErinnerungen, die mit ihr verknüpft waren –, und sich nach Kräften gegen eine zweite Reise gesträubt. Doch ihr Mann, Lord McKinney, hatte sie dazu gedrängt. Er war an einem eigentümlichen, wenig erforschten »Gallenfieber« erkrankt und hatte gewollt, dass sie in Rom für ihn bete, hatte störrisch auf diesem Wunsch bestanden, obwohl er sonst gar nicht an Wunder glaubte.
Wie gern wäre Clarissa jetzt bei ihm auf Moonrock, seinem Schloss im schottischen Moor, in das sie gleich nach der Hochzeit gezogen waren,
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