Die Prinzen von Amber (5 Romane in einem Band)
mußte man eben betrügen. Eines Abends fing er deshalb eine laute Auseinandersetzung mit mir an, die ernst hätte werden können, wenn Gérard und Caine nicht dazwischengetreten wären. Das muß ich Caine zugestehen – an jenem Abend hat er für mich Partei ergriffen. Armer Bursche ... Ein verdammt unschöner Tod ... Die Kehle ... Na ja, jedenfalls hielt ich mich in Texorami auf, gab mich mit Musik und Frauen ab, spielte Karten und sauste am Himmel herum. Palmenbäume und aufgehende Nachtblüten. Herrliche Hafengerüche – Gewürze, Kaffee, Teer, Salz ... du weißt schon. Adlige, Kaufleute und Bauern – dieselben Figuren wie an den meisten anderen Orten. Ein Kommen und Gehen von Seeleuten und Reisenden verschiedener Herkunft. Burschen wie ich, die am Rande der Szene lebten. Ich verbrachte zwei glückliche Jahre in Texorami. Eine wirklich glückliche Zeit. Kaum Kontakt mit den anderen. Ab und zu ein grußkartenähnliches Hallo durch die Trümpfe, aber das war so ziemlich alles. In dieser Zeit mußte ich kaum an Amber denken. Aber das alles änderte sich eines Abends. Ich saß gerade mit einem Full House auf der Hand da, und der Bursche auf der anderen Seite des Tisches versuchte sich darüber klar zu werden, ob ich bluffte oder nicht.
Da begann der Karo-Bube plötzlich zu mir zu sprechen.
Ja, so hat es begonnen. Ich war ohnehin in einer ziemlich verrückten Stimmung. Ich hatte gerade ein paar gute Spiele durchgebracht und war noch irgendwie in Fahrt. Außerdem war ich erschöpft von einem langen Flug während des Tages und hatte in der Nacht davor nicht besonders viel geschlafen. Ich habe mir später überlegt, daß es wohl unser geistiger Appell in Verbindung mit den Trümpfen gewesen sein muß, der mich etwas sehen ließ, sobald mich jemand zu erreichen versuchte, während ich Spielkarten in der Hand hielt –
irgendwelche
Spielkarten. Normalerweise empfangen wir solche Nachricht mit leeren Händen – es sei denn, der Anruf geht von uns aus. Vielleicht lag es an meinem Unterbewußtsein, das damals irgendwie erschöpft war und das sich in jenem Augenblick rein gewohnheitsmäßig der vorhandenen Requisiten bediente. Später jedoch hatte ich Grund, mir das alles noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Heute bin ich mir nicht mehr so sicher.
Der Bube sagte: »Random.« Dann verschwamm sein Gesicht, und er sagte: »Hilf mir!« Allmählich begann ich zu spüren, welche Persönlichkeit dahintersteckte, doch der Eindruck war nur vage. Der ganze Impuls war sehr schwach. Schließlich formte sich das Gesicht von neuem, und ich erkannte, daß ich recht gehabt hatte. Es war Brand. Er sah ziemlich übel aus und schien irgendwo festgebunden oder angekettet zu sein. »Hilf mir!« sagte er noch einmal.
»Ich bin hier«, sagte ich. »Was ist los?«
»... Gefangener ...«, sagte er, und dann noch etwas, das ich nicht verstehen konnte.
»Wo?« wollte ich wissen.
Daraufhin schüttelte er den Kopf. »Kann dich nicht holen«, sagte er. »Ich habe keine Trümpfe und bin zu schwach. Du mußt auf dem langen Wege kommen ...«
Ich fragte ihn nicht, wie er die Verbindung ohne meinen Trumpf hergestellt hatte. Es schien mir wichtiger, seinen Aufenthaltsort zu erfahren. Ich fragte ihn, wie ich ihn ausfindig machen könnte.
»Schau genau her«, sagte er. »Erinnere dich an jede Einzelheit. Vielleicht kann ich dir das Bild nur einmal durchgeben. Und bring deine Waffen mit ...«
Dann sah ich die Landschaft – über seine Schulter, eingerahmt von einem Fenster, über einer Befestigung – ich weiß es nicht genau. Es war ein Ort, weit von Amber entfernt, in einer Gegend, wo die Schatten verrückt zu spielen beginnen. Weiter entfernt, als mir lieb ist. Eine öde Welt, mit unruhig wechselnden Farben. Flammenzuckend. Ein sonnenloser Tag. Felsen, die wie Segelschiffe über das Land glitten. Brand in einer Art Turm – ein winziger Punkt der Stabilität in einer fließenden Szene. Ich erinnerte mich hinterher ganz deutlich daran, wie er es von mir verlangt hatte. Und ich erinnerte mich an das Geschöpf, das sich um den Fuß des Turms geringelt hatte. Ein prismatisch schimmerndes Gebilde. Offenbar eine Art Wachwesen – zu hell, um die Umrisse zu erkennen, um die wahre Größe zu erraten. Dann verging alles, wie ausgeknipst. Und ich saß da und starrte auf den Karo-Buben, und die Burschen auf der anderen Seite des Tisches wußten nicht, ob sie sich über mein langes Schweigen aufregen oder sich Sorgen machen sollten, daß ich womöglich
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