Die Prinzen von Amber
geruht.«
»Das verstehe ich nicht. Aber egal – ich glaube Euch.
Wo sind wir jetzt?«
»Wir fahren noch immer nach Nordosten«, antwortete ich, »und stehen etwa zwanzig Meilen vor der Stadt und vielleicht ein Dutzend Meilen von Benedicts Haus entfernt. Gleichzeitig haben wir uns quer durch die Schatten bewegt.«
»Was soll ich jetzt tun?«
»Folgt der Straße, weiter nichts. Wir brauchen die Entfernung.«
»Könnte uns Benedict noch einholen?«
»Ich glaube ja. Deshalb dürfen wir die Pferde noch nicht ausruhen lassen.«
»Na schön. Soll ich nach etwas Bestimmtem Ausschau halten?«
»Nein.«
»Wann soll ich Euch wecken?«
»Nie.«
Da schwieg er, und während ich darauf wartete, daß mein Bewußtsein aufgesaugt würde, dachte ich natürlich an Dara. Schon während des Tages waren meine Gedanken immer wieder zu ihr gewandert.
Die Erkenntnis war ganz überraschend gekommen. Ich hatte sie nicht als Frau gesehen, bis sie sich in meine Arme sinken ließ und meinen Gedanken in diesem Punkt eine neue Richtung gab. Ich konnte nicht einmal den Alkohol dafür verantwortlich machen, da ich gar nicht viel getrunken hatte. Warum wollte ich die Schuld überhaupt woanders suchen? Weil ich mir irgendwie schuldbewußt vorkam – deswegen. Sie war zu weitläufig mit mir verwandt, als daß ich sie mir wirklich als Familienmitglied vorstellen konnte. Und das war auch nicht der springende Punkt. Ich hatte außerdem nicht das Gefühl, die Situation ausgenutzt zu haben, denn als sie mich suchen kam, wußte sie durchaus, was sie tat. Es waren vielmehr die Umstände, die Zweifel an meinen Motiven aufkommen ließen. Als ich sie kennenlernte und auf den Spaziergang durch die Schatten führte, hatte ich mehr erringen wollen als ihr Vertrauen und ihre Freundschaft. Ich versuchte einen Teil ihrer Treue, ihres Vertrauens, ihrer Zuneigung von Benedict auf mich zu lenken. Ich hatte sie auf meiner Seite sehen wollen, als eine mögliche Verbündete in diesem Haus, das schnell zum feindlichen Lager werden konnte. Ich hatte gehofft, sie im Notfall ausnützen zu können. All dies stimmte. Doch ich konnte mir einfach nicht vorstellen, daß ich sie auf jene Weise besessen hatte, nur um diesen Zielen näherzukommen, als Mittel zum Zweck. Vielleicht aber doch – allerdings nicht nur. Jedenfalls machte mich diese Erkenntnis unruhig und weckte das Gefühl, niederträchtig gehandelt zu haben. Warum? Ich hatte in meinem Leben viele Dinge getan, die objektiv betrachtet viel schlimmer waren – und diese Dinge machten mir nicht sonderlich zu schaffen. Ich kämpfte mit mir und rang mich nur mühsam zu der Antwort durch, an der kein Weg vorbeiführte. Mir lag an dem Mädchen – ganz einfach. Mein Gefühl war etwas anderes als die Freundschaft, die mich mit Lorraine verbunden hatte, eine Freundschaft mit einem Hauch weltmüden Einvernehmens zwischen zwei Veteranen; auch unterschied sich mein Empfinden von der beiläufigen Sinnlichkeit, die kurz zwischen mir und Moire aufgeflackert war, ehe ich zum zweitenmal durch das Muster schritt. Dieses Gefühl war ganz anders. Ich kannte Dara erst so kurze Zeit, daß es mir fast unlogisch vorkam. Ich war ein Mann, der Jahrhunderte und Dutzende von Frauen hinter sich hatte. Und doch ... hatte ich seit Jahrhunderten nicht mehr so empfunden. Ich hatte dieses Gefühl vergessen – bis es sich jetzt wieder regte. Ich wollte mich nicht in sie verlieben. Noch nicht. Vielleicht später. Am besten überhaupt nicht. Sie war nicht die richtige für mich. Im Grunde war sie noch ein Kind. Alles, was sie sich wünschte, alles, was sie neu und faszinierend fand, hatte ich irgendwann bereits getan. Nein, unsere Verbindung stimmte nicht. Es war nicht richtig, mich in sie zu verlieben. Ich hätte es eigentlich nicht dazu kommen lassen dürfen ...
Ganelon summte eine freche Melodie vor sich hin. Der Wagen hüpfte und knirschte, wandte sich bergauf. Die Sonne strahlte mir ins Gesicht, und ich bedeckte das Gesicht mit dem Unterarm. Irgendwo in dieser Gegend griff endlich die Bewußtlosigkeit zu und zog ihre Decke über mich.
Als ich erwachte, war die Mittagsstunde vorbei, und ich fühlte mich wie gerädert. Ich nahm einen großen Schluck aus der Flasche, schüttete mir etwas in die Handfläche und rieb mir damit die Augen aus, fuhr mir mit den Fingern durch die Haare. Dann sah ich mir die Umgebung an. Viel Grün erstreckte sich auf allen Seiten, kleine Baumgruppen und offene Flächen mit hohem Gras. Wir fuhren auf einem Lehmweg
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